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Knochenkälte

Titel: Knochenkälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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ziehen.
    Ich schaue aus dem Fenster zu, wie der Wind Schneewirbel die Straße entlangtreibt.
    Nichts für Mensch und Tier.
    Aber vielleicht treibt sich da draußen ein Tier herum, dem das eisige Wetter nichts ausmacht.

sieben
    Ich sitze auf der Couch, verfolge mit einem Auge das Hockey- Spiel im Fernsehen und versuche, mit dem anderen das Kapitel in meinem Buch fertig zu lesen. Dann knicke ich die Seite zu einem Eselsohr, schlage das Taschenbuch zu und quetsche es zusammen, um zu sehen, wie viel ich noch zu lesen habe. Ich hab’s noch nicht mal zu einer richtigen Kerbe geschafft.
    Frankenstein. Klingt nach Action. Ein Monster, das aus einem Dutzend Leichen zusammengestückelt wurde, wird durch einen Blitz zum Leben erweckt. Im Film gab’s haufenweise Leichen. Enthauptete, Erwürgte, auf verschiedenste Weise Abgeschlachtete. Aber das Buch - Schlaftablette pur. Und in einem altertümlichen Englisch geschrieben, das heute kein Mensch mehr spricht.
    Ich bin gerade bei einem Kapitel, in dem ein Typ seit zehn Seiten einen Brief schreibt. Wohl noch nie was von Postkarten gehört, was? Mir reicht’s! Ich will weniger Gekritzel und mehr Gekille!
    Miss Mercer hat uns die Wahl gelassen, worüber wir unseren Aufsatz schreiben wollen - über irgendwas von einem Romantik-Dichter (würg), über Frankenstein oder über so ein episches Gedicht, das Ballade vom alten Seemann heißt. Die
Ballade handelt von einem Verrückten, der wildfremde Leute anhält, um ihnen zu erzählen, was ihn so verfolgt. Nein danke, ich fühle mich schon genug verfolgt. Also hab ich mir Frankie ausgesucht, in der Hoffnung auf einen wilden Amoklauf.
    Aber ich hab schon zwanzig Seiten gelesen, und das Einzige, was bisher gestorben ist, ist mein Gehirn - an Langeweile eingegangen.
    Dad sitzt am anderen Ende der Couch und trinkt ein Bier. Ich zähle die leeren Flaschen auf dem Couchtisch. Ist erst sein drittes. Wenn er beim sechsten ist, weiß ich, dass er einen seiner Depris hat. Den Dämon zu ertränken versucht , wie er zu sagen pflegt.
    Ich schaue von den Flaschen hoch, und da fällt mir was Neues auf, das mitten auf dem Regal mit den Angeltrophäen thront. Zwischen zwei präparierten Forellen steht ein Miniweihnachtsbaum aus Keramik mit winzigen Lichtern dran.
    »Verdammt, was ist das?« Ich deute auf den Baum, der rot, grün und blau blinkt.
    »Die Frau aus dem Red and White , diese Andrea... Sie meinte, das würde unsere Bude ein bisschen schöner machen. Ist ja auch bald Weihnachten, was?«
    Ich gehe hin und nehme diesen unfassbar kitschigen, unfassbar traurigen kleinen Baum in Augenschein.
    »Du hast ihn tatsächlich angemacht?« Es überrascht mich, dass Dad das Ding nicht in den Keller verbannt hat, sobald Andrea zur Tür raus war.
    Dad nimmt einen Schluck Bier. » Sie hat ihn angemacht. Ich trau mich nicht mal in seine Nähe. Sonst bläht sich am Ende noch mein Herz auf wie bei dem ollen Grinch, und ich
fange an, Weihnachtslieder zu trällern oder renne die Straße runter und brülle: ›Das Leben ist wunderschön!‹
    Ich starre die kleinen Lämpchen an, die ständig an- und ausgehen. »Das ist das Deprimierendste, was ich je gesehen hab. Wir sollten ihn rausbringen und erschießen. Ihn von seinen Qualen erlösen.«
    Für Weihnachtsdekoration war immer Mom zuständig. Sie hatte ein Händchen für Glitzerzeugs, hängte das ganze Haus voller Lichterketten, sprühte Kunstschnee an die Fenster. Wir hatten sogar eine Fußmatte, die »Ho-ho-ho« rief, wenn man drauftrat.
    Dad und ich feiern kein Weihnachten mehr. Ein paar Geschenke sind okay, aber ohne Geschenkpapier und ohne Karte. Ich schüttele den Kopf. Wenn Dad diesen jämmerlichen kleinen Baum nicht anrührt, werde ich es auch nicht tun.
    »Hey, du musst mir morgen früh mal helfen«, sagt Dad mit Blick auf den Fernseher. »Vor der Schule. Ich muss ein paar Hütten auf dem Eis festmachen. Da wollen ein paar Touristen kommen und die Angel auswerfen. Ich zahl dir zehn Mäuse die Stunde.«
    »Ist ja kaum mehr als der Mindestlohn. Bin ich ein arktischer Galeerensklave, oder was?«
    »Hähä. Und ich der Ga leer ensklaventreiber, der bald voll sein wird.« Er linst in die mittlerweile dritte geleerte Flasche.
    »Wusstest du eigentlich, dass in eiskalten Gegenden die meisten Säufer zu finden sind? Eskimos sind die reinsten Schluckspechte«, sage ich.
    »Hey, sag nicht Eskimos«, sagt Dad. »Ist genauso, als würde man Schwarze Neger nennen. Eskimos wurden sie von den
Weißen genannt, weil die

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