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Knochenkälte

Titel: Knochenkälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Schatten, eine winzige Spur von dem Ding hinter mir.
    Und dann spüre ich es. Auf der kahlen Haut meines Schädels. Eine Hand und doch keine Hand. Rau und stachlig
schrappt sie leicht über meine Kopfhaut. Als würde sie etwas suchen, sondieren.
    Was auch immer ich getan haben mag - es tut mir leid!, kreische ich stimmlos. Ich schwöre es. Lass mich frei, bitte!
    Die Hand, die keine Hand ist, geht weg. Vielleicht hat sie mich gehört. Vielleicht lässt sie mich jetzt frei. Vielleicht darf ich jetzt aufwachen.
    Ein scharfes metallisches Geräusch zerschneidet die Stille. Das elektrische Gekreisch zersticht mir die Trommelfelle. Klingt wie etwas aus Dads Werkzeugarsenal.
    Wie eine Kreissäge.
    Wach auf, sofort! Bitte! Bitte! Bitte!
    Ich kann jetzt bis jenseits der Verschwommenheit meiner Augenbrauen sehen. Da blitzt etwas silbrig auf - die wirbelnde Kante eines kreisrunden Sägeblatts, das sich immer weiter herabsenkt, um sich in meine Stirn zu fressen.
    Mein Schrei ist stumm.
    Aber da ist kein Schmerz. Nur das Empfinden, wie meine Haut durchschnitten wird, und darunter das unbeschreibbare Gefühl des Knochens, dem Gewalt angetan wird, der mühelos geteilt wird, als würde ein Messer durch Butter gleiten.
    Da steige ich aus, mein Bewusstsein zieht sich zurück, versteckt sich so tief wie möglich in meinem Kopf.
    Es vergeht eine Ewigkeit, bis das Gejaule der Säge verstummt. Innerlich und äußerlich taub liege ich da und warte darauf, dass alles endet.
    Irgendwann muss es doch enden, oder?
    Aber jetzt noch nicht.
    Auf einmal zieht etwas oben an meinem Kopf. Es fühlt
sich extrem seltsam an, und ich erinnere mich blitzartig an irgendeine Fernsehsendung über eine Geburt, bei der die Ärzte dem Baby dieses Saugglockendings auf den Schädel pappten, um es rauszuziehen.
    Das passiert hier gar nicht. Es passiert nicht wirklich. Ich liege in meinem Bett, in meinem Zimmer. Allein.
    Ich höre etwas, was meine Trommelfelle erzittern lässt. Ein Knurren, so tief und dunkel, dass meine Knochen wehtun, als es durch mich hindurchrumpelt.
    Dann streift ein Luftzug wie frostiger Atem den freigelegten Bereich meines Gehirns. Ich bin so gelähmt, dass ich nicht mal erschauern kann.
    Mit dem Atem kommt das Flüstern. Nicht durch meine Ohren, sondern direkt in mein Gehirn gesprochen.
    Danny Boy, sagt es. Mein Danny Boy.
    Wach auf. Wach auf! WACH AUF!
     
    Mit einem erstickten Schrei komme ich zu mir. Ich winde mich aus der Zwangsjacke meiner Laken, taumle aus dem Bett und krache gegen die Wand, wo ich mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit des Zimmers starre.
    Ich schiebe die Hand unter mein Hemd - die Haut über meinem Brustkorb ist glatt und heil. Mit beiden Händen taste ich panisch meinen Kopf ab. Alles noch da, Haare, Schädeldecke, alles.
    Mein Herz hämmert so wild, dass es mich schwindlig macht, und ich zittere wie verrückt. Als ich zum dunklen Umriss des Schreibtischs hinwanke und die Lampe anknipse, sehe ich vermutlich aus, als hätte ich einen Krampfanfall.

    Das Zimmer ist leer. Keiner da außer mir. Ich bin allein. Keiner da.
    Immer wieder sage ich mir das vor, während ich mich am Schreibtisch abstütze und meine Lunge zwinge, langsamer zu atmen. Ich versuche, klar im Kopf zu werden. Sicherstellen, dass ich nicht wieder in den Albtraum gleite.
    Wo ist der bloß hergekommen?
    Bestimmt von diesem bekloppten Frankenstein , gemischt mit dem irren Erlebnis der letzten Nacht und den Erinnerungen an Mom, die in meinem Kopf vergraben liegen. Und als i-Tüpfelchen obendrauf Dad, der mich Danny Boy nennt. Wenn man das alles zusammenrührt, kann schon mal so ein durchgeknallter Slasher-Film dabei rauskommen.
    Nach einer Weile wechselt meine Stimmung von panisch zu angepisst. Ich bin stinksauer auf alles: auf Dad, auf unser Leben als Rumtreiber, auf dieses erbärmliche Loch, das sich Harvest Cove nennt, auf Mom, die gestorben ist und mich allein gelassen hat.
    Und auf dieses Buch! Ich grapsche mir Frankenstein vom Schreibtisch und reiße es erst in zwei Hälften, dann in Viertel. Ich höre erst auf, als es auf Konfettigröße zerfetzt ist.
    Zitternd lege ich die Hände flach auf den Heizkörper, versuche, die ganze Wärme aus ihm rauszusaugen. Der winzige blaue Punkt auf meinem Handrücken springt mir ins Auge. Ich versuche, ihn mit dem Daumen abzurubbeln, aber er verschwindet nicht. Na ja, eigentlich ist auch nichts dabei. Vielleicht hab ich ihn ja schon ewig und hab’s nur nicht gemerkt. Wie eine Sommersprosse - wer weiß

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