Knochenkälte
hat.«
»Auf die Strip-Show hätte ich verzichten können.« Pike schaut zu Howies Donut-Resten hin. »Du solltest mal was Richtiges essen, Bruderherz. Von so was kann man doch nicht leben. Hier, nimm dir was von meinem Sandwich.« Er knallt die Hälfte des Brotes vor Howie hin.
Kaum zu glauben, dass sie demselben Mutterleib entsprungen
sind. Es ist, als hätte Pike bei seiner Geburt alle Muskeln, allen Zorn und allen Mut mitgenommen, sodass für seinen Bruder später nichts mehr übrig war.
Ihr Vater, der früher Drill-Sergeant gewesen war und jetzt als Captain am Borden arbeitet, hatte es für eine geniale Idee gehalten, seine Söhne nach Waffen zu benennen. Ein Pike , hat Howie mir mal erzählt, ist eine Art Speer mit langem Schaft und einer üblen, rasiermesserscharfen Spitze. Und Howie ist zwar eine Kurzform, aber nicht für Howard, wie man meinen sollte, sondern für Howitzer, eine Artilleriewaffe, mit der schwerkalibrige Granaten abgefeuert werden.
Zu Pike passt der Waffenname wie angegossen. Aber Howie könnte keiner Fliege was zuleide tun - eher würde die Fliege ihm was zuleide tun.
Ash kommt zurück und quetscht sich zu mir in die Sitznische - nicht dass es mir was ausmachen würde. »Hast du meine Limo?«
Ich schiebe das Glas rüber. »Willst du nichts essen?«
»Nö. Muss wegen dem Kampf morgen auf mein Gewicht achten. Wenn ich bis morgen nicht zwei Pfund leichter bin, schieben die mich eine Gewichtsklasse höher, und dann muss ich im Weltergewicht antreten. Und die Schlampen da sind echt übel.«
In Barrie findet morgen die Regionalausscheidung für die Landesjuniorenmeisterschaften statt. Wenn Ash da gewinnt, darf sie zur nächsten Ausscheidungsrunde nach Toronto.
»Aber wie willst du bis morgen zwei Pfund loswerden?«, frage ich.
»Ausschwitzen. Hab da so einen Wärmeanzug, in dem ich
trainiere. Wenn man das Ding in der Sauna trägt, kann man locker vier Pfund verlieren.« Sie starrt gierig zu Howies Sandwich rüber. »Und, kommt ihr zum Kampf?«
»Na klar kommen wir«, sagt Pike. »Aber vorher müssen wir dir noch einen Namen verpassen. Irgendwas Griffiges. Ich hab mir schon mal ein paar Gedanken gemacht. Wie wär’s zum Beispiel mit... The Indian Assassin? Oder... Red Death ?«
Ash starrt ihn an. »Wie wär’s mit etwas … keine Ahnung … was weniger Rassistischem?«
Pike schnappt sich einen von Howies Donuts. »Auf euch Pöbel ist mein Genie echt verschwendet.«
Seit der Bulle heute Morgen in der Schule aufgekreuzt ist, hat mich eine Frage beschäftigt, und auf einmal ploppt sie in meinem Kopf wieder auf.
»Warum hast du gegrinst?«, frage ich Pike. »Als der Bulle auf dem Flur stand... Bevor wir wussten, dass er nur wegen Raid da war und nicht wegen... du weißt schon, wegen letzter Nacht?«
Pike schenkt mir eine Kopie seines irren Lächelns. »Weil’s mich tierisch amüsiert hat, wie ihr Weicheier euch alle in die Hose gepisst habt.«
Ash trinkt ihre Limo aus und rülpst. Ihr Bein drückt in der engen Nische warm gegen meinen Schenkel. Sie strahlt echt eine Menge Hitze aus. Ich bin immer noch ganz neben der Spur seit dem Kuss gestern Abend. Wie geht’s mit uns weiter?
»Nimmst du deine Medikamente eigentlich noch?«, fragt sie Pike. »Die gegen deine asozialen, psychopathischen Mordgelüste?«
Pike zuckt mit den Schultern. »Hab ich abgesetzt. Die haben
mich immer so betäubt. Mich schwach gemacht. Ich hatte das gewisse Etwas verloren. Und ohne das gewisse Etwas - kein Pike.«
Ich hab das Gefühl, diese Typen viel länger zu kennen als die paar Monate, seit ich hier lebe. Army-Bälger sind auch immer Rumtreiber, die von einem Stützpunkt zum nächsten ziehen, von einer Stadt in die nächste. Und Rumtreiber passen nirgendwo dazu, außer zu ihresgleichen. Vermutlich haben wir uns deswegen so schnell zusammengefunden. Aber die drei sind praktisch zusammen aufgewachsen. Ich bin immer noch der neue Rekrut.
Howie murmelt etwas vor sich hin.
»Hä?«, frage ich.
»Würde gern wissen, wo Ray jetzt steckt«, sagt er.
»In einer dicken, harten Eiskruste.« Pike leckt sich Puderzucker vom Daumen. »Bevor es im Frühjahr taut, finden die ihn garantiert nicht. Und dann finden sie ihn nach dem Gestank.«
Howies Gesichtsfarbe wechselt zu leicht grünlich.
Ich wünschte, ich wäre allein mit Howie, damit ich ihm meine Handyfotos von den Monsterspuren zeigen kann. Würde mich interessieren, was er davon hält. Aber mit den anderen in der Nähe, würde das zu viele Fragen nach sich
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