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Knochenkälte

Titel: Knochenkälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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verwischen. Am Rand der Siedlung fanden wir einen frisch ausgehobenen Graben. Sah aus, als hätten die Serben gerade vorgehabt, ihn zuzuschütten, wären dann aber vor uns geflohen. Dort haben wir die Dorfbewohner entdeckt. Männer, Frauen, Kinder. Die Leichen waren von einer dünnen Frostschicht überzogen. Wir sicherten das Gebiet ab und warteten darauf, dass die UN-Inspektoren kamen und alles dokumentierten. Du weißt schon, ethnische
Säuberung, Kriegsverbrechen und so. Das war nicht das letzte Massengrab, das ich dort drüben gesehen hab. Aber es hat mich am tiefsten berührt. Die vielen Leichen, aufgestapelt, als wären sie Müll. Noch wenige Tage zuvor hatten diese Leute geatmet, geredet, gelacht. Und jetzt waren sie tot, gestorben für nichts. Aus Hass. Glaube ich also an böse Geister?«
    Alles verstummt, hält den Atem an - der Wind, die Krähen, ich.
    »Das Böse nimmt unterschiedliche Gestalt an, Danny. Aber es ist genauso real wie der Regen.«
    Ich bin nah dran, ihm von meinem Albtraum zu erzählen. Der Drang, alles rauszulassen, ist unheimlich stark. Aber irgendwas lässt mich innehalten. Nick hat seinen Albtraum, ich hab meinen. Die gehören zu uns. Und selbst wenn ich ihm meinen verrate, kann Nick nicht bewirken, dass er verschwindet.
    Schon ist der Augenblick verstrichen. Nick reibt sich stöhnend das Gesicht.
    »Ich sterbe vor Hunger«, sagt er. »Wie sieht’s bei dir aus?«
    »Ja, ich könnte was vertragen.«
    Nick schiebt die Tür auf, sodass sich das Tageslicht in die Hütte ergießt. Ich folge ihm nach draußen und blinzele gegen den grellen Schnee an.
    »Ich glaube, da ist noch ein halber Truthahn im Kühlschrank.« Er hält auf das Haus zu. »Aber es kann sein, dass wir Ash zu Boden ringen müssen, um was davon abzukriegen.«
    Truthahn klingt gut. Ash zu Boden ringen klingt noch besser.

dreiundzwanzig
    Als ich von Ash wieder zurück bin, nehme ich mir vor, mich nur ein Minütchen auszuruhen. Ich werde die Augen nicht zumachen. Mich nur kurz hinlegen, um nicht zusammenzuklappen.
    Meine Augen sind so trocken und kratzig, als hätte ich Sand unter den Lidern. Das Fenster steht weit offen, lässt eine wunderbare Minusgradbrise herein. Ich habe die Kerntemperatur eines Eiswürfels und nicht enden wollende Kopfschmerzen, und meine Fähigkeit, im Dunkeln zu sehen, ist mittlerweile so gut, dass ich nachts fast schon Bücher lesen könnte. Irgendwie verwandle ich mich in einen Polarvampir.
    Die Deckenleuchte erscheint mir grell wie die Sommersonne, und ich hab das Gefühl, mir schon vom Rumliegen einen Sonnenbrand einzufangen. Ich kneife die Augen gegen das Licht zusammen, da wird es plötzlich blau.
    Mein erster Gedanke: Wow, ich wusste gar nicht, dass ich die Farbe des Lichts verändern kann.
    Mein zweiter Gedanke: Scheiße!
    Ich bin nämlich nicht mehr in meinem Zimmer. Irgendwann zwischen dem einen und dem anderen Blinzeln muss ich eingeschlafen sein. Und jetzt bin ich - wo eigentlich?

    Der Raum sieht merkwürdig vertraut aus. An der gegenüberliegenden Wand ist ein langer Tresen, auf dem ein Aquarium und ein Terrarium stehen. In der Ecke sind verglaste Schränke, die massenweise Gläser mit chemischen Substanzen und Flüssigkeiten enthalten.
    Ich bin im Schullabor.
    Die Neonlampen leuchten blau. Ich liege auf dem Tisch, auf dem die Lehrer normalerweise Experimente demonstrieren. Als ich mich aufsetze, wird mir klar, dass unter mir eine riesige Metallschale liegt, die den größten Teil des Tisches einnimmt.
    Die Monstervariante einer Seziertischauflage.
    Ich wirbele herum, vergewissere mich, dass ich allein bin. Auf dem Tresen hinter mir sind verschiedene Operationswerkzeuge aufgereiht - Skalpelle, Klammern, eine Handkreissäge. Ich erinnere mich an meinen Autopsietraum und greife mir an den Kopf. Mein Atem entweicht bebend meiner Kehle, als mir klar wird, dass alles noch heil ist.
    Ich springe vom Tisch herunter. Ich bin barfuß, trage nur das T-Shirt und die Boxershorts, in denen ich eingeschlafen bin. Ich gehe zur Tür und mache sie gerade weit genug auf, um auf den Flur zu sehen.
    Die Luft ist rein.
    Aber ich spüre eine schreckliche Bedrohung. So muss sich eine Maus fühlen, wenn der Schatten eines Habichts über ihr steht.
    Raus hier! Schnell!
    Ich hetze zur hinteren Treppe. Die blaue Beleuchtung flackert und knackt, wirft Schlangenlinien auf Wände und Boden.
Es ist, als wäre der See über die Ufer getreten und hätte die Stadt überflutet.
    Ich wünschte, Howie wäre hier, wie im

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