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Knochenkälte

Titel: Knochenkälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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diese indianische Felszeichnung aufgetan hat, dieses uralte Bestienfahndungsfoto, muss ich ständig an Nicks Windigo denken.
    Nein, ich glaube nicht, dass Howie und ich von diesem blutrünstigen Kannibalen angegriffen wurden. Ich bin sicher, das ist nur eine indianische Geistergeschichte, gemischt mit einem Schuss »Tod allen Bleichgesichtern«-Wunschdenken. Aber der
Teil mit dem Übel der weißen Eindringlinge gibt mir zu denken. Der Schamane, der seinen Windigo erschaffen hat, um die Weißen abzuschlachten - ein Übel, um damit ein anderes Übel zu bekämpfen.
    Ein Übel. Das Böse. Größer als alles, was mein Gehirn erfassen kann. Bis zu jener Nacht im Graben habe ich es mir nie als etwas Lebendes, Atmendes vorstellen können.
    »Keine Sorge«, sagt Nick. »Kein Windigo würde dich jagen wollen. Für den würdest du nicht viel mehr als ein Appetithäppchen abgeben.«
    »Das stimmt wohl.« Ich ringe mir ein Lachen ab. »Aber was meinen Sie, woher diese Geschichten kommen? Sind die komplett erfunden oder beruhen sie auf irgendeiner wahren Begebenheit?«
    »Klingt, als würdest du dich mit der Sache näher beschäftigen wollen.« Mit einer flinken Bewegung aus dem Handgelenk schleudert er die Axt von sich und das Blatt beißt sich mit einem dumpfen Schlag in den Hackklotz. »Wollen wir erst mal aus diesem eisigen Wind rausgehen?«
    Nick führt mich über den Hof zu seiner Schwitzhütte, die mit ihren Balken, an denen die Rinde drangelassen wurde, sehr grob und rustikal aussieht. Aber wenn man näher kommt, merkt man, wie virtuos sie erbaut wurde. Die Balken fügen sich perfekt ineinander, um den Rauch nicht nicht nach außen dringen zu lassen.
    Die Tür öffnet sich mit einem Ächzen.
    »Das Zedernholz wird bei der Kälte ganz steif.« Nick winkt mich hinein. »Wenn es noch lange so eisig bleibt, werden wir bald Bäume erleben, die längsseits aufbrechen. Das liegt am
Baumsaft - wenn der gefriert, spaltet er den Stamm von innen heraus. Die Bäume explodieren regelrecht. Hört sich an wie ein Schuss aus einem.40er-Kaliber.«
    Ich setze mich neben die flache Kuhle im hinteren Teil der Hütte, die von großen flachen Steinen umgeben ist, und atme den Kiefernduft und den Holzrauch ein.
    Nick lässt die Tür einen Spalt breit offen, damit wir nicht völlig im Dunkeln sitzen. Er lehnt sich zurück und streckt die langen Beine so weit wie möglich von sich.
    »Hab mir gestern Abend ein Schwitzbad gegönnt. Um den Kopf freizukriegen, bevor ich nach Norden ziehe.«
    »Hat’s funktioniert?«
    Die tintenschwarzen Augen fixieren mich. »Nein. Man kann nicht immer alles ausschwitzen.«
    Ich ertappe mich dabei, dass ich die Luft anhalte - bis er den Blick von mir abwendet.
    »Irgendwas liegt dir doch auf der Seele, Danny. Du siehst aus, als hättest du schon lange nicht mehr richtig geschlafen.«
    Sieht man mir das so deutlich an?
    »Was hier drin gesprochen wird, bleibt auch hier drin. Denk immer dran«, sagt er.
    Ich nicke und stemme die Ellbogen auf die Knie. Der durchdringende Duft des Kiefernholzes schärft meinen Verstand.
    »Glauben Sie wirklich daran - an Windigos, böse Geister und all so was?«
    »Ich bin damit aufgewachsen, genau wie du mit Comedyserien und MTV aufgewachsen bist. Meine Großmutter war eine große Geschichtenerzählerin. Sie schaffte es, dass man Dinge sah, die gar nicht da waren. Dass man dran glaubte.«

    Nick schweigt eine Weile und starrt in die Schatten.
    »Aber ich hab in meiner Jugend nie eine der Kreaturen aus den Geschichten meiner Großmutter gesehen. Keinen Manitu, keinen Donnervogel, keinen Windigo. Ich hab’s versucht, aber es ist mir nie gelungen.«
    Er lächelt bei der Erinnerung. Doch dann erstirbt sein Lächeln und seine Züge verhärten sich.
    »Mit achtzehn bin ich in die Army eingetreten. Um aus dem Reservat rauszukommen und die Welt zu sehen. Im Balkankrieg, auf meiner ersten Tour mit CANBAT 2, einer kanadischen Einheit der UN-Friedenstruppen, war ich noch ziemlich grün hinter den Ohren. An einem kalten Januarmorgen sind wir zu einem kleinen bosnischen Bergdorf gekommen. War nicht mehr viel übrig von dem Dorf. Die Häuser waren niedergebrannt worden, von manchen stieg noch der Rauch auf. Aber es gab keine Leichen. Keine Menschenseele zu sehen.«
    Er spricht gedämpft, als wäre diese Hütte wirklich so eine Art Beichtstuhl, in dem Geheimnisse ausgesprochen und bewahrt werden.
    »Schätze, die serbischen Truppen hatten uns kommen sehen und keine Zeit mehr, ihre Spuren zu

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