Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
Schuh, Sohle. Zehn Minuten später war die Bluse dran.
»Das Deckenlicht, bitte.«
Galiano schaltete es aus.
Die Knöpfe waren Standardware aus Plastik. Einen nach dem anderen bestrahlte ich sie mit dem Luma Lite. Keine Fingerabdrücke.
»Okay.«
Das Zimmer erhellte sich wieder, und ich drückte jeden Knopf durch sein Loch und öffnete die Bluse.
Das Objekt war so klein, dass ich es fast übersehen hätte, es steckte im rechten Unterarmsaum.
Ich griff nach meiner Lupe.
O nein.
Ich holte tief Luft, wartete, bis meine Hände völlig ruhig waren und stülpte den Ärmel dann vorsichtig um.
Ein zweites Objekt lag dreizehn Zentimeter innerhalb des Ärmels.
Ich fand noch ein drittes, zweieinhalb Zentimeter unter dem ersten.
»Hurensohn.«
»Was?« Galiano starrte mich an.
Ich ging zu den Tatortfotos, leerte Umschläge aus, bis ich den richtigen Satz gefunden hatte. Hastig suchte ich mir die Großaufnahme des Beckens heraus und hielt die Lupe über die mysteriösen Partikel.
Mein Gott.
Mit angehaltenem Atem untersuchte ich jeden Zentimeter des Beckenknochens und arbeitete mich dann durch die anderen Aufnahmen. Ich entdeckte insgesamt sieben.
Wut stieg in mir hoch. Und Trauer. Und jedes der Gefühle, die ich in dem Grab in Chupan Ya empfunden hatte.
»Ich weiß nicht, wer sie ist«, sagte ich, »aber ich weiß vielleicht, warum sie sterben musste.«
7
»Ich höre«, sagte Galiano.
»Sie war schwanger.«
»Schwanger?«
Ich zeigte ihm das erste Beckenfoto.
»Der Partikel da ist ein Fragment eines fötalen Schädels.«
Ich legte ihm die anderen Fotos vor.
»Und dieser auch. Und in der Bluse sind fötale Knochen.«
»Zeigen Sie sie mir.«
Ich ging zum Tisch zurück und zeigte ihm die drei fingernagelgroßen Fragmente.
»¡Hijo de la puta!« Hurensohn.
Seine Heftigkeit überraschte mich, und ich reagierte nicht.
»In welchem Monat?«
»Ich bin mir nicht sicher. Ich würde die Knochen gern unter einem Mikroskop untersuchen und die Ergebnisse mit Referenzdaten abgleichen.«
»Verdammter Hurensohn!«
»Ja.«
Durch die geschlossene Tür hörte ich Männerstimmen, dann Gelächter. Das Geplapper war eine gefühllose Unterbrechung.
»Aber wer zum Teufel ist sie?« Galianos Stimme klang leiser als sonst.
»Ein Teenager mit einem schrecklichen Geheimnis.«
»Und Daddy hatte keine Lust, Familienvater zu werden.«
»Vielleicht war Daddy bereits einer.«
»Oder die Schwangerschaft hat mit dem Mord überhaupt nichts zu tun.«
»Könnte sein. Wenn es hier um einen Serienmörder geht, könnte er sich seine Opfer wahllos herauspicken.«
Die Stimmen im Korridor verklangen und verstummten dann ganz.
»Zeit für einen weiteren Besuch beim Hotelbesitzer und seiner Frau.«
»Es könnte auch nicht schaden, die Frauenkliniken und Familienplanungszentren in der Nachbarschaft zu kontrollieren. Vielleicht wollte sie ja eine Abtreibung machen lassen.«
»Wir sind hier in Guatemala.«
»Mutterschaftsvorsorge.«
»Stimmt.«
»Das sollten Sie besser fotografieren lassen, bevor ich es einpacke.«
Minuten später war Xicay da. Ich gab ihm mein rechtwinkeliges Lineal und zeigte ihm die Knochen. Während Xicay fotografierte, schnitt Galiano ein anderes Thema an.
»Was ist mit der Größe?«
»Größe?«
»Wie groß war sie?«
»Die Kleidung deutet auf durchschnittlich bis klein hin. Die Muskelbänder sind schwach. Was wir grazil nennen.«
Ich blätterte in den Fotos, bis ich zu den Beinknochen kam.
»Ich könnte die Statur schätzen, indem ich das Lineal an den Femur anlege, um eine Maßstabsorientierung zu haben. Aber das wäre eine sehr grobe Schätzung. Kennen Sie die Größen der vier vermissten Personen?«
»Sollte in den Akten stehen. Wenn nicht, finde ich es heraus.«
»Fertig«, sagte Xicay.
Ich holte zwei weitere Röhrchen aus meinem Rucksack, markierte eins und fügte die Beschriftung fötale Überreste hinzu. Dann nahm ich mit der Pinzette die Knochen von Achsel und Ärmel ab, verschloss das Röhrchen und setzte mein Kürzel aufs Etikett.
»Standardfotos von der Kleidung?«, fragte Xicay.
Ich nickte.
Als ich zusah, wie er sich um den Tisch bewegte, kam mir plötzlich eine Idee.
»Wo sind das Schienbein und die Fußknochen, die in der Jeans steckten?«, fragte ich Galiano.
»Hat Díaz beschlagnahmt.«
»Und die Jeans vergessen?«
»Der Kerl könnte ein Beweisstück nicht erkennen, wenn es ihm auf die Schuhe pissen würde.«
»Was denken Sie über Lucas?«
»Der gute Doktor schien von
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