Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
Teilnahme.«
Díaz’ Gesicht blitzte vor mir auf. Dann Díaz und Lucas im Paraíso.
»Wie auch immer, aus all diesen Gründen erschien es notwendig, ein strikteres wissenschaftliches Vorgehen zu etablieren und Experten hinzuzuziehen, die nicht unter dem Einfluss der mutmaßlichen Täter standen.«
»Und da trat Clyde Snow auf den Plan.«
»Ja, vierundachtzig schickte die Amerikanische Vereinigung zur Förderung der Wissenschaften, AAAS, eine Delegation, zu der auch Clyde Snow gehörte, nach Argentinien. In diesem Jahr wurde die Argentinische Einheit für Forensische Anthropologie, EAAF, gegründet, und sie ist seitdem aktiv.«
»Nicht nur in Argentinien.«
»Im Gegenteil. Die EAAF hat mit Menschenrechtsorganisationen in Bosnien, Ost-Timor, El Salvador, Guatemala, Paraguay, Südafrika, Simbabw–«
»Wer zahlt die Rechnung?«
»Die Mitglieder der Einheit werden aus dem allgemeinen Etat der EAAF bezahlt. In den meisten dieser Länder haben Menschenrechtsorganisationen nur sehr beschränkte Mittel.«
Da ich Mateos Ziel kannte, verfolgte ich das Thema weiter.
»Wer für Menschenrechte kämpft, hat immer Geldsorgen. Zu den Gehältern der Einsatzkräfte kommen noch Kosten für Reisen und Unterbringung vor Ort. Die Mittel für eine Mission können vollständig von der EAAF kommen oder in Guatemala von der FAFG oder von lokalen oder internationalen Organisationen.«
»Reden wir über Guatemala.«
So viel zum Geldeintreiben.
»Während des Bürgerkriegs hier – der von 1962 bis 1996 dauerte – wurden zweihunderttausend Menschen getötet oder ›verschwanden‹. Man schätzt, dass noch einmal eine Million vertrieben wurden.«
»Wovon die meisten Zivilisten waren.«
»Ja. Die Guatemala-Kommission für geschichtliche Aufklärung der Vereinten Nationen kam zu dem Schluss, dass neunzig Prozent aller Menschenrechtsverletzungen von der guatemaltekischen Armee und ihren paramilitärischen Organisationen begangen wurden.«
»Die Mayas haben wirklich eins auf die Nuss bekommen.«
Der Mann war widerwärtig.
»Die meisten Opfer waren Maya-Bauern, von denen viele überhaupt nicht an dem Konflikt beteiligt waren. Das Militär durchkämmte das Land und tötete jeden, der auch nur verdächtigt wurde, die Guerilla zu unterstützen. In den Hochlandprovinzen El Quiché und Huehuetenango liegen hunderte anonymer Gräber.«
»Politik der verbrannten Erde.«
»Ja.«
»Und dann spielten sie die Unschuldigen.«
»Jahrelang leugneten guatemaltekische Machthaber, dass diese Massaker je passiert seien. Die heutige Regierung hat dieses Spiel aufgegeben, aber keiner der Täter wird wohl je ins Gefängnis wandern. 1996 wurde zwischen der guatemaltekischen Regierung und einer Koalition der wichtigsten Guerillatruppen ein Friedensabkommen unterzeichnet, das den Konflikt formell beendete. Allen Personen, die beschuldigt wurden, während des Krieges Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben, hat man noch im selben Jahr Immunität gewährt.«
»Wozu dann das alles hier?« Nordsterns Blick schweifte durch den Raum.
»Immer mehr Überlebende und Verwandte meldeten sich zu Wort und forderten eine Untersuchung. Auch wenn sie keine Strafverfolgung der Täter erwarten konnten, wollten sie wenigstens ans Licht bringen, was damals geschehen war.«
Ich dachte an das kleine Mädchen in Chupan Ya. Ich kam mir vor wie eine Fürsprecherin der Täter, weil ich von ihren Verbrechen auf so kühle und distanzierte Art berichtete. Die Opfer hatten eine engagiertere Erzählung verdient.
»Aber schon davor, Anfang der Neunziger, traten guatemaltekische Gruppen auf den Plan, die die Familien der Opfer vertraten. Sie holten ausländische Organisationen, darunter die Argentinier, für die Exhumierungen ins Land. Die Argentinier schulten zusammen mit Wissenschaftlern aus den USA die Guatemalteken. So kam es schließlich zu dem Projekt, das Sie hier miterleben. Im letzten Jahrzehnt haben Mateo und sein Team eine ganze Menge forensischer Untersuchungen durchgeführt und eine gewisse Unabhängigkeit von der Regierung erreicht.«
»Wie in Chupan Ya.«
»Ja.«
»Erzählen Sie mir von Chupan Ya.«
»Im August 1982 drangen Soldaten und Zivilpatrouillen in das Dorf ein –«
»Unter dem Kommando von Alejandro Bastos«, warf Nordstern dazwischen.
»Davon weiß ich nichts.«
»Fahren Sie fort.«
»Sie scheinen mehr zu wissen als ich.«
Wieder dieses Achselzucken.
Zum Teufel. Ich hatte genug von diesem Mann. Die Massaker waren für ihn nur eine Story.
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