Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
eins klarstellen: Trotz der Stellung ihres Vaters war ich kein Befürworter der Beziehung meiner Tochter zu diesem Specter-Mädchen.«
»Warum nicht?«
Gerardi zögerte einen Augenblick.
»Chantale Specter ist eine verwirrte junge Frau.«
»Verwirrt?«
»Ich hatte den Eindruck, dass sie keinen guten Einfluss auf meine Tochter hat.«
»Was ist mit Jungs?«
»Ich gestatte meiner Tochter nicht, sich mit welchen zu treffen.«
»Ich kann mir vorstellen, dass sie darüber sehr begeistert war.«
»Meine Tochter stellt meine Vorschriften nicht in Frage.«
Ich faltete die Hände im Schoß, starrte sie an. Lucy, dachte ich. Deine Tochter heißt Lucy, du kaltes, arrogantes Arschloch.
»Ja.« Galiano grinste zynisch. »Gibt es sonst noch etwas, das Ihnen seit unserem letzten Gespräch eingefallen ist?«
»Ich weiß nicht mehr als das, was Sie wissen. Das habe ich bereits am Telefon deutlich gemacht.«
»Und ich habe deutlich gemacht, dass ich heute mit Mario reden wollte.«
»Die Golfstunden werden Wochen im Voraus vereinbart.«
»Ach so. Das Handicap Ihres Jungen geht natürlich vor.«
Gerardi unterdrückte mit Mühe ein verärgertes Zucken.
»Ehrlich gesagt, Detective, ich hatte mir Fortschritte erhofft. Diese Affäre zieht sich nun schon über vier Monate hin. Die Belastung für meine Gattin und meinen Sohn ist unglaublich. Der jüngste Überfall auf unsere Haustiere war barbarisch.« Eine Anspielung auf die Haarprobeentnahme durch die Polizei, wie ich annahm.
Galiano schnalzte mit der Zunge. »Ich rede mal mit dem Schnauzer.«
»Sprechen Sie nicht so herablassend mit mir, Detective.«
Galiano beugte sich über den Schreibtisch, bis sein Gesicht nur Zentimeter von Gerardis entfernt war.
»Unterschätzen Sie mich nicht, Señor.«
Galiano trat zurück.
»Ich werde Lucy finden«, sagte er und sah unseren Gastgeber kalt an. »Mit oder ohne Ihre Hilfe.«
»Ich habe Ihnen geholfen, so gut ich konnte, und ich wehre mich gegen Ihre Unterstellung. Niemand macht sich mehr Sorgen um meine Tochter als ich.«
Irgendwo außerhalb des Zimmers schlug eine Uhr. Volle zehn Sekunden lang sagte keiner etwas. Schließlich brach Galiano das Schweigen.
»Ein Gedanke geht mir die ganze Zeit nicht mehr aus dem Kopf.«
Gerardis Gesicht war eine geschlossene Tür.
»Ich erzähle Ihnen, dass ein Skelett aufgetaucht ist, und Sie zeigen ungefähr so viel Interesse wie am Wetterbericht.«
»Ich nehme an, wenn dieses Skelett irgendeine Relevanz für das Verschwinden meiner Tochter hat, werden Sie mir das sagen.« Vom perfekt weißen Kragen ausgehend, breitete sich Röte über Galianos Gesicht aus.
»Anscheinend haben Sie auch eine Menge über das Leben Ihrer Tochter angenommen.«
»Ist diese Person, die Sie gefunden haben, meine Tochter?« Gerardis Oberlippe war weiß vor Zorn.
Galiano antwortete nicht.
»Offensichtlich wissen Sie es nicht.«
Mein Gesicht glühte vor Verlegenheit. Richtig, Mr. Gerardi. Weil mir übel war und ich mich von rosafarbenen Brillengläsern einschüchtern ließ.
Gerardi streckte sein Rückgrat noch mehr als zuvor. »Ich glaube, es ist Zeit, dass Sie mein Haus verlassen.«
»Buenos días, Señor Gerardi.« Galiano nickte mir zu. »Regresaré.« Ich komme wieder.
Er ging zur Tür.
Ich stand auf und folgte ihm.
»¡Hijo de la gran puta!« Galiano streckte die Hand aus und drehte einen Knopf am Funkgerät. Aus dem statischen Rauschen wurde ein Stottern.
»Sagen Sie mir, was Sie wirklich von ihm halten.«
»Er ist ein aufgeblasenes, tyrannisches, selbstgerechtes Arschloch.«
»Nur kein Blatt vor den Mund.«
»Was ist das für ein Vater, der Jugendfreundschaften als Zügellosigkeit betrachtet?« Galianos Stimme triefte vor Verachtung.
»Genau das dachte ich mir auch. Was macht Daddy eigentlich, um sich Mercedes und Beshir leisten zu können?«
»Gerardi und sein Bruder sind die größten Autohändler Guatemalas.«
Wir saßen im Wagen und fuhren auf die Residenz des Botschafters zu.
»Aber er hatte Recht.« Ich machte mit meinem Zeigefinger einen Abdruck am Armaturenbrett und wischte ihn mit dem Handballen weg. »Wir wissen rein gar nichts über dieses Skelett.«
»Wir werden es herausfinden.«
Ich machte noch einen Abdruck.
»Meinen Sie, dass Lucy so fügsam war, wie ihr Vater glaubt?«
Galiano drehte eine Handfläche nach oben und hob Schultern und Augenbrauen, für einen guatemaltekischen Polizisten eine sehr französische Geste.
»Wer weiß. Die Erfahrung lehrt uns, dass sie es
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