Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
trüben Lichts konnte ich sehen, dass sie das strahlende Grün von Kontaktlinsen hatten.
»Haben Sie Kinder, Dr. Brennan?«
»Meine Tochter ist auf der Universität. Ich weiß, wie schwierig Teenager sein können.«
»Ja.«
»Könnten wir ein paar Dinge noch einmal durchgehen?« Galiano.
»Wenn es Ihnen weiterhilft.«
»Das wird es.«
Er zog ein Notizbuch hervor und begann, Namen und Daten zu überprüfen. Während der Unterhaltung bearbeitete Mrs. Specter unbewusst die Fäden, wobei sie sie abwechselnd verzwirbelte und glatt strich. Hin und wieder schnippte ein Nagel gegen den Stoff und schickte Fasern in das All des Wohnzimmers.
»Chantale wurde vor einem Jahr im November zum ersten Mal verhaftet?«
»Ja.« Tonlos.
»Im Hotel Santa Lucía in Zone eins.«
»Ja.«
»Die zweite Verhaftung war im Juli.«
»Ja.«
»Im Hotel Bella Vista.«
»Ja.«
»Chantale war von August bis Dezember zur Behandlung ihrer Drogenabhängigkeit in Kanada.«
»Ja.«
»Wo?«
»In einem Reha-Zentrum in der Nähe von Chibougamau.«
Ich beobachtete, wie ein abgelöstes Fädchen zu Boden trudelte, und spürte plötzlich einen neuralen Stromstoß. Ich sah Galiano an. Es war ihm nicht anzusehen, ob er es bemerkt hatte.
»Das ist in Quebec?«
»Ein Camp, einige hundert Meilen nördlich von Montreal.«
Ich war einmal wegen einer Exhumierung nach Chibougamau geflogen. Das Gebiet war so dicht bewaldet, dass der Blick aus dem Flugzeug mich an Brokkoli erinnert hatte.
»Das Programm bringt jungen Leuten bei, persönliche Verantwortung für ihren Drogenmissbrauch zu übernehmen. Die Konfrontationen können ziemlich grausam sein, aber mein Gatte und ich waren der Ansicht, dass der ›harte Weg‹ der beste wäre.« Sie zeigte eine schwache Version des Diplomatenlächelns. »Die abgeschiedene Lage garantiert, dass die Teilnehmer die Therapie auch zu Ende führen.«
Galiano fragte noch einige Minuten weiter. Ich konzentrierte mich auf die roten Nägel am Polster. Schließlich: »Haben Sie irgendwelche Fragen an mich, Mrs. Specter?«
»Was wissen Sie über diese Knochen, die gefunden wurden?«
Galiano zeigte sich nicht überrascht, dass sie über das Skelett im Paraíso Bescheid wusste. Zweifellos hielten sie die Verbindungen ihres Gatten immer gut informiert.
»Ich wollte eben darüber sprechen, aber es gibt wenig zu berichten, bis Dr. Brennan ihre Untersuchung abgeschlossen hat.«
»Können Sie mir irgendetwas sagen?« Ihr Blick wanderte zu mir.
Ich zögerte, denn ich wollte nur auf Grund der Fotos und einer flüchtigen Untersuchung vor Ort keine Meinung abgeben.
»Irgendetwas?« Flehend.
Mein Mutterherz kämpfte mit meinem Wissenschaftlerhirn. Was, wenn Katy an Stelle von Chantale verschwunden wäre? Was, wenn ich diejenige wäre, die mit den Fäden eines Polstersessels spielte?
»Ich bezweifle, dass das Skelett Ihre Tochter ist.«
»Warum?« Die Stimme klang ruhig, doch die Finger arbeiteten wie eine Nähmaschine.
»Ich vermute, dass die Person nicht kaukasisch ist.«
Sie starrte mich an, und hinter ihren elektrisch grünen Augen ratterte es.
»Guatemaltekisch?«
»Wahrscheinlich. Aber vor Abschluss meiner Untersuchung ist das kaum mehr als ein erster Eindruck.«
»Wann wird es so weit sein?«
Ich sah Galiano an.
»Wir haben da gewisse Zuständigkeitsprobleme«, sagte Galiano.
»Inwiefern?«
Galiano erzählte ihr von Díaz.
»Warum hat der Richter das getan?«
»Das ist unklar.«
»Ich werde mit meinem Gatten darüber sprechen.«
Sie wandte sich wieder an mich. »Sie sind ein liebenswürdiger Mensch, Dr. Brennan. Das sehe ich an Ihrem Gesicht. Merci .«
Sie lächelte, nun wieder ganz die Frau des Botschafters.
»Sind Sie sicher, dass Sie beide nichts zu trinken wollen? Limonade vielleicht?«
Galiano lehnte ab.
»Dürfte ich Sie um einen Schluck Wasser bitten?«
»Selbstverständlich.«
Als sie gegangen war, stürzte ich zum Schreibtisch, riss einen Streifen Klebefilm aus einem Spender, rannte zu Mrs. Specters Sessel und drückte die klebrige Seite auf die Polsterung. Galiano sah mir wortlos zu.
Mit einem Kristallglas voller Eiswasser, an dessen Rand eine Zitronenscheibe steckte, kehrte Mrs. Specter zurück. Während ich trank, redete sie mit Galiano.
»Es tut mir Leid, dass ich sonst nichts für Sie habe. Ich bemühe mich. Das tue ich wirklich.«
Im Foyer überraschte sie mich mit einer Bitte.
»Haben Sie eine Visitenkarte, Dr. Brennan?«
Ich zog eine aus der Tasche.
»Vielen Dank.« Ein
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