Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
Bluthund, aber er ist ein ausgezeichneter Arzt.«
Ich erwiderte nichts.
»Ihr beiden seid euch wohl nicht grün, was?«
Ich erzählte ihr von dem Faultank. Sie hörte mit ernstem Gesicht zu.
Danach betrachtete Fereira, was von Claudia de la Alda noch übrig war.
»Galiano vermutet, dass die Fälle in Verbindung stehen?«
»Ja.«
»Ich bete zu Gott, dass sie es nicht tun.«
»Amen.«
Sie zupfte sich das Papierfitzelchen von der Lippe, warf einen Blick darauf und schnippte es dann weg.
»Glauben Sie, dass das Paraíso-Skelett die Tochter des Botschafters sein könnte?«
»Möglich wär’s.«
»Ist das vielleicht der Grund, warum Díaz mauert? Um sich diplomatische Peinlichkeiten zu ersparen?«
»Das ergibt doch keinen Sinn. Specter war derjenige, der mir den Zugang ermöglicht hat.«
»Für zwei Stunden.« Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus.
Fereira hatte Recht. Wenn Specter mächtig genug war, um Díaz’ Entscheidungen aufzuheben, warum räumte er dann den Weg nicht ganz frei?
»Wenn auch nur die entfernte Möglichkeit besteht, dass es sich um seine Tochter handelt, warum will Specter dann nicht Gewissheit haben?« Fereira stellte genau die Frage, die mir auch im Kopf herumging.
»Könnte Díaz andere Gründe dafür haben, mich nicht an diese Knochen zu lassen?«
»Zum Beispiel?«
Mir fielen keine ein.
»Lucas behauptet, es sei der Busunfall«, sagte ich.
»In den letzten Tagen ging’s hier ziemlich rund.« Sie stieß sich von der Arbeitsfläche ab. »Falls es ein Trost für Sie ist, es liegt nicht an Ihnen persönlich. Sowohl Lucas wie Díaz hassen jegliche Einmischung.«
Als ich protestieren wollte, hob sie die Hand.
»Ich weiß, dass Sie sich nicht einmischen. Aber vielleicht sehen die beiden es so.« Sie schaute auf die Uhr. »Wann haben Sie vor, die Knochen zu untersuchen?«
»Heute Nachmittag.«
»Kann ich was für Sie tun?«
»Ich habe eine Idee, aber dazu brauchte ich Hilfe.«
»Schießen Sie los.«
Ich erzählte ihr von meinem Plan. Ihr Blick wanderte zu Claudia de la Alda, dann wieder zu mir. »Das lässt sich machen.«
Drei Stunden später hatten Fereira und ich Claudia de la Aldas Autopsie abgeschlossen und einen Happen zu Mittag gegessen. Danach kümmerte sich Fereira um eines der Busopfer. Claudia de la Alda war in ein Kühlfach geschoben worden, und das Paraíso-Skelett lag jetzt auf demselben Tisch. Der Autopsietechniker saß auf einem Hocker in einer Ecke des Raums, aus dem Helfer war nun ein Beobachter geworden.
Die Knochen waren so, wie ich sie in Erinnerung hatte, nur inzwischen von Schlamm und Unrat gesäubert. Ich betrachtete Rippen und Becken, notierte den Verschmelzungsgrad von Knochenleisten, Gelenkkugeln und Schädelnähten und untersuchte dann die Zähne.
Meine Geschlechts- und Altersschätzungen bestätigten sich. Die Überreste waren die einer jungen Frau knapp unter zwanzig.
Korrekt war auch meine Hypothese der mongoloiden Abstammung gewesen. Um meine Beobachtungen zu bestätigen, vermaß ich Gesicht und Schädel für eine Computeruntersuchung.
Ich suchte nach Hinweisen auf perimortale Verletzungen, fand aber keine. Auch konnte ich keine skelettalen Eigentümlichkeiten entdecken, die für eine Identifikation von Nutzen gewesen wären. Die Zähne wiesen keine Anomalien oder Füllungen auf.
Ich hatte eben die Vermessung der langen Knochen für die Staturberechnung abgeschlossen, als das Telefon klingelte. Der Techniker hob ab, kam dann zu mir und sagte, dass meine Zeit um sei.
Ich trat vom Tisch zurück, nahm die Maske ab und zog die Handschuhe aus. Kein Problem. Ich hatte, was ich brauchte.
Draußen senkte sich die Sonne in Zuckerwattewolken, die sich am Horizont auftürmten. Die Luft roch nach dem Rauch eines brennenden Müllhaufens. Eine leichte Brise wehte Papiertüten und Zeitungen über den Bürgersteig.
Ich atmete tief durch und schaute zum Friedhof nebenan. Grabsteine und billige Vasen und Marmeladengläser mit Plastikblumen warfen schräge Schatten. Auf einer Holzkiste saß eine alte Frau mit verschleiertem Gesicht und schwarz verhülltem, welkem Körper. Ein Rosenkranz baumelte an ihren knochigen Fingern.
Ich hätte mich gut fühlen sollen. Es war zwar nur ein halber, aber immerhin ein Sieg über Díaz. Und meine ursprünglichen Annahmen waren korrekt gewesen. Aber ich fühlte mich nur traurig.
Und ich hatte Angst.
Drei Monate lagen zwischen dem Tag, an dem Claudia de la Alda zum letzten Mal lebend gesehen wurde, und dem Tag, an dem
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