Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
aufzuziehen.«
»Und wer bezahlt die Rechnungen?«
»Clem bezieht ein wenig Geld von der Stadt, das meiste kommt aber aus Wohltätigkeitsveranstaltungen und privaten Spenden. Und Feeney arbeitet viel mit ehrenamtlichen Helfern.«
Plötzlich machte es bei mir Klick.
»Du glaubst, dass Clem Tante Clémence bedeutet?«
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich bei so was gut bin.« Noch einmal klickte es.
»Und Tim ist Tim Hortons Donut-Laden an der Guy.«
»Du bist auch nicht schlecht, Brennan.«
»Wir schlagen die Zeit bis zu dem Treffen mit Metallass tot.« Wir sahen beide auf unsere Uhren. Es war zwei Minuten vor sieben.
Zivilisten betrachten Überwachungen als adrenalinbefeuerte, pulsbeschleunigende Polizeiarbeit. In Wirklichkeit sind die meisten Beschattungen so aufregend wie Valium.
Zwei Stunden lang beobachteten wir Tim Horton’s, Ryan von seinem Auto aus, ich von einer Parkbank. Ich sah Pendler, die die Treppen der Metro-Station an der Guy hinauf- oder hinabstiegen. Ich sah Studenten aus Abendvorlesungen in der Concordia University kommen. Ich sah Rentner, die an der Statue Norman Bethunes Tauben fütterten. Ich sah Frisbeespieler und Leute, die ihre Hunde ausführten. Ich sah Geschäftsleute, Landstreicher, Nonnen und Nachtschwärmer.
Doch Chantale Specter sah ich nicht. Um zehn rief Ryan auf meinem Handy an. »Wie’s aussieht, taucht unsere Kleine nicht auf.« »Könnte Metallass uns entdeckt und sie gewarnt haben?« »Ich vermute mal, Metallass hat den IQ einer Kichererbse.« »Er müsste zumindest die Geduld einer solchen haben, um so lange zu warten.«
Ich sah mich um. Das einzige männliche Wesen, das in der Nähe des Tim Horton’s herumlungerte, war mindestens fünfundsechzig. Der eine oder andere Cocktailtrinker im Java U auf der anderen Seite der de Maisonneuve hätte durchaus Metallass sein können, aber keiner interessierte sich für den Donut-Laden. »Was jetzt?«
»Geben wir ihr noch eine halbe Stunde. Wenn sie nicht auftaucht, verziehen wir uns zu Clem’s.«
Das winzige Dreieck, auf dem ich saß, war eine Insel inmitten der de Maisonneuve. Auf allen drei Seiten surrten Autos vorbei. Unwillkürlich fing ich an, sie zu zählen. Eins. Sieben. Zehn.
Gut, Brennan. Schön neurotisch.
Ich schaute auf die Uhr. Fünf nach zehn.
Warum hatte Chantale ihre Verabredung mit Metallass nicht eingehalten? War die Mail eine falsche Fährte gewesen? Hatte ich uns auffliegen lassen? War sie gekommen, hatte mich erkannt und war wieder verduftet?
Eine asiatische Familie näherte sich dem Laden. Die Frau wartete mit einem Kleinkind und einem Baby im Kinderwagen draußen, während der Mann Donuts kaufte.
Ich schaute noch einmal auf die Uhr. Zehn nach zehn.
Oder hatten wir sie übersehen? Hatte sie sich versteckt, bis Metallass eintraf, und ihm dann ein Zeichen gegeben? Oder hatte sie sich verkleidet?
Vierzehn nach zehn.
Ich warf einen Blick zur Kreuzung hinüber. Ryan schaute zurück und schüttelte langsam den Kopf.
Zwei Männer, die aussahen wie Models für Hugo Boss, betraten Tim Horton’s. Durch das Fenster sah ich zu, wie sie ein Dutzend Donuts aussuchten und kauften. Zwei ältere Damen tranken Kaffee in einer Sitznische. An einem Tisch vor der Tür stritten drei Penner.
Siebzehn nach zehn.
Donuts für eine Gruppe Studenten. Ich sah mir jedes Gesicht genau an. Chantale war nicht darunter.
»Fertig?«
Ich hob den Kopf. Halogen und Neon beleuchteten den Rand von Ryans Haaren, aber der Himmel über ihm war dunkel und sternenlos.
»Gehen wir?«
»Gehen wir.«
Chez Tante Clémence lag an der de Maisonneuve, nur wenige Blocks vom alten Forum entfernt. Das Zentrum war in einem Trio von dreistöckigen Backsteinhäusern untergebracht, die alle mit grell lackiertem Holz verziert waren. Clémence war der lavendelfarbene Vertreter in diesem Regenbogentriptychon.
Aber der Renovierungstrupp hatte es nicht bei den Tür- und Fensterstöcken belassen.
Clémences Veranda war senffarben, die Blumenkästen kirschrot. Letztere beherbergten welke Pflanzen, Erstere einen Teil von Feeneys Herde.
Zwei Mädchen lackierten sich auf dem Absatz der Feuerleiter im zweiten Stock die Zehennägel. Beide hatten kurze braune Haare, lange Ponys, Capri-Hosen und genug gepierctes Fleisch, um eine postoperative Betreuung zu rechtfertigen. Thelma und Louise, jetzt auch als Punks. Das Duo unterbrach seine Pediküre, um uns zu beobachten.
Die Truppe auf der Veranda schaute uns von der Treppe aus zu, Zigaretten
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