Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
Wahlwiederholung.
Nichts.
Ich starrte den Orang-Utan an und wollte ihn schütteln, bis er preisgab, wohin sein Frauchen verschwunden war.
Ryan schaltete den Computer aus und stand auf.
»Hast du ‘ne Idee?«
»Und was für eine. Lass uns gehen.«
20
»Und wie sieht dein Plan aus?«, fragte ich Ryan, als er in die Sherbrooke einbog.
»Cannelloni im La Transition.«
Ich starrte ihn nur an.
»Und Pudding. Die machen dort tollen Pudding.«
»Ich dachte, wir wollten Chantale suchen.«
»Danach Donuts.«
»Donuts?«
»Ich mag die mit den Schokostreuseln.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, bog er in die Grosvenor ein, parkte, ging ums Auto herum und öffnete mir die Tür. Als ich neben ihm auf dem Bürgersteig stand, fasste er mich am Ellbogen und schob mich zu einem Restaurant an der Ecke.
Die Geheimniskrämerei ging mir allmählich auf die Nerven. Ich sträubte mich.
»Was soll denn das?«
»Vertrau mir.«
»Ich will dir ja deine James-Bond-Nummer nicht verderben, Ryan, aber wir müssen Chantale finden.«
»Werden wir auch.«
»Mit Donuts und Cannelloni?«
»Vertrau mir doch einfach.«
»Was ist dein Problem?« Ich riss mich los. »Hast du die Top-Secret-Informationen nur auf Mikrofilm?«
Eine Frau mit flaschengrüner Sonnenbrille näherte sich mit einem Terrier, der mehr einer Ratte ähnelte als einem Hund. Als sie meinen Tonfall hörte, zog sie die Leine an, senkte den Blick und beschleunigte ihre Schritte.
»Du erschreckst die Anwohner. Komm rein, und ich erklär dir alles.«
Ich kniff skeptisch die Augen zusammen, folgte ihm aber. An der Tür fiel mir plötzlich mein Abendessen mit Galiano im Gucumatz wieder ein. Wenn der Maître uns einen Tisch in einer Nische gab, war ich sofort wieder draußen.
Das Restaurant war typisch mediterranes Kunterbunt. Düstere Beleuchtung, tannengrüne Holzvertäfelung, marineblaues und weinrotes Leinen. Eine junge Frau führte uns zu einem Tisch an einem Seitenfenster und lächelte Ryan dabei breit an.
Ryan grinste zurück, und wir setzten uns.
»Schon mal von Patrick Feeney gehört?«
»Wir schicken uns keine Weihnachtskarten.«
»Mein Gott, du kannst wirklich eine Nervensäge sein.«
»Ich arbeite daran.«
Ryan seufzte als Zeichen seiner unendlichen Geduld.
»Schon mal was von Chez Tante Clémence gehört?«
»Das ist ein Zufluchtsort für Straßenkinder.«
Eine andere junge Frau brachte uns die Speisekarte und noch mehr blitzende Zähne, goss Wasser in Gläser und fragte, was wir trinken wollten. Wir bestellten beide Perrier.
Ryan ignorierte seine Speisekarte.
»Die Cannelloni sind ausgezeichnet.«
»Habe ich gehört.«
Als die Kellnerin zurückkam, bestellte ich Linguine mit Pesto Genovese, und Ryan blieb bei dem, was er sich vorgenommen hatte. Beide bestellten wir noch kleine Cäsar-Salate.
Während wir Brot und dann Salat aßen, redeten wir kaum. Ich schaute zum Fenster hinaus, sah, die wie die Sonne dem Mond wich.
Die Kinder waren von den Bürgersteigen und den Gärten an der Grosvenor verschwunden und saßen jetzt beim Abendessen oder über ihren Hausaufgaben. In den Doppelhäusern auf beiden Seiten der Straße leuchteten gelbe Lichter.
An der Sherbrooke schlossen Banken und Büros, die Läden leerten sich. Neonschilder sprangen an, doch die meisten nächtlichen Etablissements waren noch geschlossen.
Fußgänger gerieten in Eile, denn sie spürten die Kühle, die das immer tiefer werdende Zwielicht mit sich brachte. Ich dachte an Chantale Specter. Zu welchem Ziel eilte sie wohl in der aufziehenden Dämmerung?
Nachdem das Essen gekommen war und wir Pfeffer und Käse darüber gestreut hatten, redete Ryan weiter.
»Tante Clémence wird von einem amtsenthobenen Priester namens Patrick Feeney geführt. Feeney erlaubt in seinen Räumlichkeiten keine Drogen oder Alkohol, ansonsten aber können die Jugendlichen kommen und gehen, wie sie wollen. Er gibt ihnen zu Essen und einen Platz zum Schlafen. Wenn jemand reden will, hört Feeney zu. Wenn jemand Beratung sucht, schickt er ihn zu den entsprechenden Stellen. Keine Predigten. Keine Sperrstunde. Keine verschlossenen Türen.«
»Klingt ziemlich liberal für einen katholischen Priester.«
»Ich sagte amtsenthobener Priester. Feeney wurde schon vor Jahren aus dem Klerus ausgestoßen.«
»Warum?«
»Soweit ich mich erinnere, hatte der Padre eine Freundin, und die Kirche sagte, entscheide dich. Feeney beschloss, auf die kirchliche Rehabilitierung zu verzichten und selber etwas
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