Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
Häuschen‹.«
»Arrogant unprätenziös. Typisch Westmount.«
»Mrs. Specter ist aus Charlevoix.«
Ryan drückte auf den Klingelknopf. Irgendwo im Haus ertönte ein Glockenspiel.
»Wie viel verdient ein Botschafter?«, fragte er leise.
»Nicht genug für das alles hier. Normalerweise machen Botschafter den Job nicht wegen des Geldes. Die zahlen noch Geld, um ihn zu kriegen.«
Wir warteten eine ganze Minute. Ryan klingelte noch einmal.
Ich war entsetzt, als Mrs. Specter zur Tür kam. Obwohl sie Lippenstift und Rouge aufgelegt hatte, hatte ihr Gesicht die Farbe von Krankenhausleinen. Ihre kupferfarbenen Haare waren oben auf dem Kopf zusammengefasst, aber widerspenstige Strähnen kringelten sich an den Ohren und im Nacken.
»Nein, tut mir Leid. Es ist etwas passiert.« Sie hob die Hand an die Brust. »Ich kann jetzt nicht mit Ihnen sprechen.«
Sie wollte die Tür schließen, doch Ryan drückte mit der Hand dagegen.
»Bitte. Ich hatte einen Migräneanfall.«
»Sie wollen wir ja auch gar nicht belästigen, Mrs. Specter.« Er strahlte sie mit seinem Chorknaben-Lächeln an. »Wir wollen mit Chantale sprechen.«
»Ich kann nicht zulassen, dass Sie meine Tochter quälen.« Ihre Stimme klang abgehackt, die Fingerknöchel am Türknauf waren weiß.
»Es geht sehr schnell«, sagte ich.
»Chantale schläft.«
»Bitte wecken Sie sie.«
»Es geht ihr nicht gut.«
»Kopfschmerzen?« Ryans Stimme wurde schärfer.
»Ich leide selbst an Migräne«, bemerkte ich. »Ich weiß, wie Sie sich fühlen. Bitte schicken Sie Chantale herunter und gehen Sie dann wieder ins Bett.«
»Nein, vielen Dank.«
Die Erwiderung ergab keinen Sinn. Ich schaute mir Mrs. Specter genauer an. Ihre Pupillen waren groß wie Cocktailgläser. Die Frau des Botschafters hatte einige kräftige Schmerzmittel eingeworfen.
»Ist Mr. Specter –«
Sie schnitt mir mit einer Handbewegung das Wort ab.
»Ist Ihr Gatte hier, Mrs. Specter?«
»Hier?«
»Ist Mr. Specter im Haus?«
»Es ist niemand hier.«
»Niemand?«
Mrs. Specter schüttelte den Kopf, als sie ihren Fehler erkannte.
»Bis auf Chantale.«
Ryan und ich wechselten einen Blick.
»Wo ist Sie, Ma’am?«, fragte ich und legte meine Hand auf die ihre.
»Was?«
»Chantale ist ausgerissen, oder?«
Sie ließ den Kopf sinken und nickte einmal.
»Hat sie Ihnen gesagt, wohin sie geht?«
»Nein.« Der Dielenlüster betonte die Löckchen, die ihr vor dem Gesicht hingen.
»Hat sie sich bei Ihnen gemeldet?«
»Nein.« Ohne aufzusehen.
»Wissen Sie, wo sie ist?«
»Nein.« Ihre Stimme klang meilenweit entfernt.
»Mrs. Specter?«, drängte ich.
Sie hob den Kopf, schaute an uns vorbei zur Hecke.
»Chantale ist mit Leuten zusammen, die ihr wehtun werden. Und sie ist wütend. Sie ist sehr, sehr wütend.«
Sie atmete zitternd ein, schaute von den Zedern zu mir.
»Ihr Vater und ich haben ihr das angetan. Meine Affäre. Seine rachsüchtigen kleinen Spiele. Wie konnten wir nur glauben, dass das keine Auswirkungen auf unsere Tochter haben würde? Jetzt würde ich alles ganz, ganz anders machen.«
»Es gibt keine perfekten Eltern.«
»Aber nur wenige Eltern treiben ihre Kinder in die Drogensucht.«
Dagegen ließ sich kaum etwas einwenden.
»Fällt Ihnen irgendetwas ein, das uns dabei helfen könnte, Ihre Tochter zu finden?«
»Was?«
Ich wiederholte meine Frage.
Mrs. Specter durchsuchte die Teile ihres Hirns, die noch funktionierten.
»Tut mir Leid«, sagte sie. »Tut mir Leid.«
»Können wir ihr Zimmer sehen?«, fragte Ryan.
Sie nickte kurz und führte uns eine geschnitzte Holztreppe hoch zu einem Gang im ersten Stock.
»Chantales Zimmer ist das erste auf der linken Seite. Ich muss mich jetzt hinlegen.«
»Wir finden alleine hinaus«, sagte ich.
Das Zimmer war dunkel, aber an der Decke über Chantales Bett leuchteten hunderte winziger Punkte. Ich erkannte sie sofort. Nature Company Glow in the Dark Stars. Sterne, die im Dunkeln leuchten. Als Katy vierzehn war, hatten wir ein Set gekauft und einen Nachmittag damit zugebracht, einen Sternenhimmel zu erschaffen. Später hat sie sich das Sonnensystem dazugekauft. Stundenlang lag Katy auf ihrem Bett, starrte an die Decke und träumte von weit entfernten Welten.
Ich fragte mich, ob Mutter oder Tochter diese Decke geschmückt hatten.
Die Sterne verschwanden, als Ryan das Licht einschaltete.
Das Zimmer war dekoriert mit gelbem Gingham-Stoff und weißer Lochstickerei. Auf dem Himmelbett türmten sich Puppen und Spitzenkissen. Ein
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