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Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan

Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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geringschätzigen Miene. Ich stand auf, blieb aber hinter meinem Schreibtisch.
    »Bonjour, M. Claudel. Comment ça va?«
    Ich erwartete keine Antwort und wurde auch nicht enttäuscht.
    »Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«
    Claudel betrachtete mich als lästige Notwendigkeit, einen Status, den er mir nach der erfolgreichen Lösung einer Reihe von Mordfällen des CUM widerwillig zugestand. Claudels Verhalten mir gegenüber war immer kühl, reserviert und strikt frankophon. Dass er jetzt Englisch sprach, überraschte mich.
    »Bitte setzen Sie sich«, sagte ich.
    Claudel setzte sich.
    Ich setzte mich.
    Claudel stellte einen Kassettenrekorder auf meinen Tisch.
    »Diese Unterhaltung wird aufgenommen.«
    Natürlich habe ich nichts dagegen, du arroganter, spitznasiger Wichser.
    »Kein Problem.«
    Claudel schaltete den Rekorder ein, nannte Datum und Uhrzeit und dann die Namen der Gesprächsteilnehmer.
    »Ich leite die Untersuchung der Schießerei gestern Abend.«
    Ach, was für ein glücklicher Tag. Ich wartete.
    »Sie waren dabei?«
    »Ja.«
    »Hatten Sie freie Sicht auf den Schauplatz?«
    »Hatte ich.«
    »Konnten Sie hören, ob zwischen Lieutenant-détective Andrew Ryan und seinem Ziel Worte gewechselt wurden?«
    Ziel?
    »Ja.«
    Claudel hielt den Blick auf einen Punkt etwa in der Mitte zwischen uns gerichtet.
    »War der Mann bewaffnet?«
    »Er hatte eine Luger neun Millimeter.«
    »Konnte man aus seinem Verhalten schließen, dass er beabsichtigte, seine Waffe abzufeuern?«
    »Der Hurensohn hatte Nordstern erschossen und richtete die Waffe dann auf Ryan.«
    »Bitte. Greifen Sie mir nicht vor.«
    Der Raum zwischen meinen Backenzähnen schrumpfte gegen Null.
    »Nach dem Schuss auf Nordstern, befahl Lieutenant-détective Ryan da dem Schützen, seine Waffe wegzulegen?«
    »Mehr als einmal.«
    »Folgte der Schütze dieser Anordnung?«
    »Er packte eine Frau, die auf dem Bürgersteig kauerte. Sie flehte darum, wegen elterlichen Pflichten wieder freigelassen zu werden, aber ich glaube, diese Bitte sollte ihr abgeschlagen werden.«
    Claudels Brauen bildeten ein V über seinen Augen.
    »Dr. Brennan, ich muss Sie noch einmal bitten, mir zu gestatten, diese Befragung auf meine Art durchzuführen.«
    Ruhig Blut.
    »Versuchte der Schütze, eine Geisel zu nehmen?«
    »Ja.«
    »War Ihrer Meinung nach die Geisel eindeutig und unmittelbar in Gefahr?«
    »Hätte Ryan nicht reagiert, wäre ihre Lebenserwartung auf drei Minuten gesunken.«
    »Als Lieutenant-détective Ryan seine Waffe abfeuerte, erwiderte der Schütze das Feuer?«
    »Er hätte fast meine Großhirnrinde auf der Wand des Forums verteilt.«
    Claudels Lippen wurden zu einem schmalen, harten Strich. Er atmete ein und durch schmale, harte Nasenlöcher wieder aus.
    »Warum waren Sie im Forum, Dr. Brennan?«
    »Ich suchte nach der Tochter einer Freundin.«
    »Waren Sie in offizieller Funktion dort?«
    »Nein.«
    »Warum war Detective Ryan im Forum?«
    Was sollte denn das? Diese Fragen hatte doch Ryan mit Sicherheit schon beantwortet.
    »Um sich dort mit mir zu treffen.«
    Nun bohrten sich die Habichtaugen in meine.
    »War Detective Ryan in offizieller Funktion dort?«
    »Nein, im Auftrag des Herrn.«
    Claudel und ich starrten einander an wie Catcher im Ring.
    »Hat Andrew Ryan Ihrer Ansicht nach angemessen gehandelt, als er Carlos Vicente erschoss?«
    »Er war ein Schatz.«
    Claudel stand auf.
    »Vielen Dank.«
    »Das ist alles?«
    »Für den Augenblick ja.«
    Claudel schaltete den Rekorder aus und steckte ihn ein.
    »Bonjour, Madame.«
    Wie üblich war ich nach Claudels Besuch so wütend, dass ich schon befürchtete, eine Embolie zu bekommen. Um mich wieder zu fassen, ging ich in die Lobby, kaufte mir eine Diet Coke und kehrte in mein Büro zurück. Ich legte die Füße aufs Fensterbrett, trank die Cola und aß das Thunfisch-Sandwich und die Schokokekse, die ich mir von zu Hause mitgebracht hatte.
    Zwölf Stockwerke unter mir fuhr ein Frachter den dunstigen St. Lawrence hoch. Liliputanische Lastwagen spritzten Wasser von den Rändern der Jacques-Cartier-Brücke. Autos glitten über glänzenden Asphalt, ihre Reifen scheuchten Gischt auf. Fußgänger liefen mit gesenkten Köpfen, ihre Schirme wie bunte Pilze in einer triefenden Welt.
    Meine Tochter und ich lächelten auf einem Strand an der Küste von Carolina. Ein anderer Ort. Eine andere Zeit. Ein glücklicher Augenblick.
    Beim letzten Keks kam ich zu der Überzeugung, dass ein wortkarger Claudel nur Gutes bedeuten konnte.

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