Knochensplitter - Ein Alex-Delaware-Roman
Tofuhühnchen wurde gebracht. Nathalie aß ein paar Bissen und spielte dabei mit ihrem Diamantring herum. Es war ein großer, viereckiger Stein. Schmuck war nicht mein Ding, aber Alma Reynolds’ riesige Perle hatte mein Interesse geweckt.
Nathalie sagte: »Wir reden hier über einen Vorfall, der zehn Jahre zurückliegt. Ich hatte gerade ambulante wie auch stationäre Patienten übernommen und machte die Spätschicht, um zu beweisen, dass ich dazugehörte. Um drei Uhr morgens
oder so nimmt mich dann die Oberschwester beiseite. Jemand hat ein blutiges Kleinkind gebracht. Zuerst dachten alle, es würde ein unglaublicher Horror werden, aber als das kleine Ding gesäubert wurde, hatte es keine Wunde, nicht einmal einen Kratzer. Es war ein kleines Mädchen, ungefähr sieben Monate alt. Abgesehen davon, dass es unterkühlt und aufgeregt war, fehlte ihm nichts.«
Sie fasste mit den Essstäbchen ein Stück Tofu. »Der gute Samariter war euer Freund, Mr. Huck. Er hat seinen Namen nicht genannt, aber ich bin mir sicher, dass er es war. Dieses Gesicht vergisst man nicht so leicht. Er war dürr, geradezu ausgezehrt, und in einer Verfassung, die mir ganz und gar nicht gefiel. Ich kann mich noch genau an ihn erinnern - er muss an einer Art Nervenschädigung leiden, möglicherweise aufgrund einer Kopfverletzung oder eines leichten Schlaganfalls.«
»Mit dem Mund stimmt was nicht«, sagte ich.
» Ja «, sagte sie und zeigte mir ein Sieges-V. »Ich wusste , dass er es ist. »Sein Gang war unsicher. Die Oberschwester dachte erst, er wäre betrunken und würde das Baby fallen lassen. Mittlerweile hatte die Kleine zu brüllen angefangen, alles war voller Blut - es war eine ziemliche Szene. In den Nachrichten hieß es dann, die Polizei interessiere sich in Zusammenhang mit diesen Morden für Huck. Was soll das heißen?«
»Es heißt, dass man sich unklar ausdrücken wollte .«
»Weshalb?«
»Das führt jetzt zu weit, Nathalie.«
Sie warf mir einen langen Blick zu. »Meinetwegen. Aber mal unter uns, wird er des Mordes verdächtigt?«
Ich nickte.
»Wow«, sagte sie. »Eins muss ich dir sagen, Alex. Er kam mir ganz und gar nicht bedrohlich vor. Er war nervös und
schüchtern. Vermutlich hatte er mehr Angst als das Baby. Er sagte, er habe es beim Spazierengehen auf dem Gehsteig gefunden, habe das Schreien gehört und gedacht, es wäre ein verletztes Tier. Als er sah, dass es ein Baby war, hob er es auf und trug es zu uns. Von Silverlake bis East Hollywood, das sind gut zwei Meilen, in einer kühlen Nacht. Er hatte seine Jacke ausgezogen, um das Baby warm zu halten, hatte nur ein T-Shirt und eine billige Karohose an - komisch, woran man sich erinnert. Vermutlich lauter Zeug aus einem Secondhandladen - an der Taille hatte er es mit einer Schnur zusammengebunden. Er hat mit den Zähnen geklappert, Alex.«
»Warum hat er nicht die 911 angerufen?«
»Vielleicht hatte er das Gefühl, er könnte sie schneller zu uns bringen, ich weiß es nicht.«
Oder er war sich darüber im Klaren, dass er aufgrund seiner Vorgeschichte sofort unter Verdacht geraten würde.
Nathalie erzählte weiter. »Selbstverständlich hat er uns zunächst erschreckt. Er war voller Blut. Irgendwie sah er aus, als wäre er einem dieser abscheulichen Filme entsprungen, die meine Kids mögen. Wir wollten ihn nicht zur Rede stellen, haben aber versucht, ihn im Western zu behalten, bis die Cops eintrafen. Sobald er sah, dass dem Baby nichts fehlte, stürmte er aber an unserem Wachmann vorbei. Kannst du dich noch erinnern, was das für ein Kaliber war?«
»Alt, schwach, träge, kurzsichtig.«
»An einem guten Tag. Außerdem haben sich die Cops viel Zeit gelassen, und wir waren mit dem Baby beschäftigt. Was etwas beunruhigend ist, wenn ich heute darüber nachdenke. Was wäre gewesen, wenn er tatsächlich ein Psychokiller gewesen wäre?«
»Woher weißt du, dass er keiner war?«
»Weil der Fall kurz darauf abgeschlossen wurde. Das ist
doch die offizielle Bezeichnung, stimmt’s? Abgeschlossen, nicht gelöst.«
»Du hast deine Hausaufgaben gemacht, Nathalie.«
»Charlie mag diese Krimisendungen.«
»Inwiefern wurde der Fall abgeschlossen?«
»Wir haben die Polizei zu der Stelle geschickt, wo Huck seiner Aussage nach das Baby gefunden hat. Sie fanden eine Blutspur, verfolgten sie und entdeckten eine Leiche, die im Gebüsch lag. Wie sich herausstellte, war es die Mutter des Babys, ein siebzehn Jahre altes Mädchen namens Brandi Loring. Sie wohnte ein paar Blocks
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