Knochensplitter
dem Leib, wie man hört.«
Die Assistentin verdrehte die Augen und stellte dann die Clogs vor Doc Frasers Füßen auf den Boden. »Höchst … bedauerlich .« Sie marschierte zu dem iPod hinüber, und fünf Sekunden später lief wieder Barbers Adagio .
Ein Knistern und Knirschen war zu vernehmen, als Doc Fraser unter seinem Schutzanzug die Schultern kreisen ließ. »Tja nun, ich bin nicht gerade glücklich darüber, aber McRae sagte, es sei dringend, also nehme ich an, dass mir nichts anderes übrigbleibt.« Er trommelte mit den Fingern auf dem Sektionstisch herum. »Sheila, könnten Sie bitte die Überreste des kleinen Mädchens bringen? Und können wir bitte etwas Fröhlicheres hören? Ist ja so schon schlimm genug.«
Die Assistentin deutete mit einem Nicken auf das Tablett, dessen blank polierte Oberfläche das Licht reflektierte. Am Rand lag ein kleiner Beweismittelbeutel.
Der Rechtsmediziner sah die Assistentin an. »Was?«
Sie nahm den Beutel und platzierte ihn feierlich auf dem Tisch. »Die Überreste.«
Schweigen. Nur die schwermütigen Klänge der Geigen aus der Stereoanlage waren zu hören.
»Im Ernst?« Er öffnete den Beutel und ließ Jenny McGregors Zeh in seine Hand kullern. »Das ist alles ?«
Womit er wahrscheinlich der einzige Mensch im ganzen Land war, der es nicht wusste.
Doc Fraser hielt den Zeh ans Licht, drehte ihn hin und her und begutachtete ihn von allen Seiten. »Unglaublich …«
Der Zeh war gereinigt worden, seit Logan ihn zuletzt gesehen hatte; man hatte das ganze getrocknete Blut für die diversen Analysen entfernt und ihn mit Klebeband bearbeitet, um eventuelle Faserspuren zu sichern. Nur noch Fleisch, Knochen und Nagel waren übrig.
Steel versuchte, die Hände in die nicht vorhandenen Taschen zu stecken. »Lesen Sie denn keine Zeitung?«
»Inspector, mit das Beste am Ruhestand – abgesehen von Golf, Gärtnern und Viagra – ist, dass man nicht mehr jeden Morgen mit den Widerwärtigkeiten der heutigen Gesellschaft überschüttet wird.« Er schob sich die Schutzbrille bis über die Stirn und musterte das blassgelbe Stückchen kleines Mädchen.
Finnie trat näher an den Tisch. »Was können Sie uns sagen?«
Es trat eine lange Pause ein. Dann legte der Rechtsmediziner den Zeh zurück auf die Stahlfläche.
»Sehen Sie, das ist der Grund, warum ich in Rente gegangen bin.« Doc Fraser schien einen Moment in sich zusammenzusacken. Er seufzte, dann schob er die Kapuze seines Overalls zurück. »Sheila, machen Sie die üblichen Analysen.«
»Ja, Dr. Fraser.«
Finnie beugte sich über den Sektionstisch. »Was ist denn nun?«
Doc Fraser schlurfte zu dem Tritteimer in der Ecke, streifte seine Handschuhe ab und warf sie hinein. »Wir sind hier fertig.«
Damit hatte er wohl den Rekord für die kürzeste Obduktion aller Zeiten aufgestellt.
»Dr. Fraser?« Finnie richtete sich auf. »Wo wollen Sie –«
»Sie ist tot.« Er nahm die Maske und die Schürze ab und warf beides den Handschuhen hinterher. »Ein kleines Mädchen …«
Steel stöhnte. Superintendent Green straffte die Schultern und reckte das Kinn. Finnie fluchte.
Logan starrte den abgetrennten Zeh an. Bleich, blutleer, beinahe durchscheinend. »Sind Sie sicher, dass sie nicht einfach nur –«
»Schauen Sie sich die Schnittfläche an.« Doc Fraser zog den Reißverschluss seines Schutzanzugs herunter. »Keine Blutergüsse, keine Verfärbung. Wenn Sie einem lebenden Menschen einen Zeh abschneiden, gibt es eine Riesensauerei: Das Gewebe entzündet sich, das Blut fließt zu der Verletzung hin, Kapillaren platzen, subkutane Blutungen färben die Haut um die Wunde herum dunkel.« Er kämpfte sich aus seinem Overall und stand da in Unterhemd und Unterhose, eine Socke auf den Knöchel heruntergerutscht. »Dieser Zeh wurde einer Leiche abgeschnitten. Ihr kleines Mädchen ist tot.«
Logan erklomm hinter DI Steel die Treppe, die vom Leichenschauhaus zu der sonnenbeschienenen Asphaltplattform hinaufführte. Auf einer Seite wurde der Parkplatz vom siebenstöckigen Klotz des Präsidiums begrenzt, auf zwei weiteren von den niedrigeren Gebäuden, in denen die Verwaltung und die Rechtsmedizin untergebracht waren; parallel zur vierten Seite verlief eine schmale Gasse, und dahinter erhoben sich die dunklen Granitmauern von Mietshäusern, die mit der Front auf die King Street gingen. Normalerweise war es hier kühl und schattig, aber heute war die Atmosphäre regelrecht mediterran.
Logan gab sich keine Mühe, ein herzhaftes Gähnen zu
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