Knochenzeichen
»Sie werden einige Abweichungen von Michaels’ erstem Bericht feststellen.«
»Wir kennen also Größe und Geschlecht. Und wissen, dass es Menschenknochen sind.«
»Wir wissen noch ein bisschen mehr als das.« Cait ignorierte den gereizten Tonfall von Sheriff Andrews. »Es sind auch keine weggeworfenen medizinischen Präparate. Die sind nämlich meist weiß gebleicht, haben Schrauben, um die Knochen zusammenzuhalten, und die Knochen wären vom häufigen Anfassen glatter. Sie sind aber auch nicht länger dem Erdreich ausgesetzt gewesen.«
»Das glauben Sie, weil sie sauber sind?« Barnes meldete sich zum ersten Mal zu Wort, seit er den Raum betreten hatte.
»Teilweise. Knochen nehmen die Farbe des sie umgebenden Erdreichs an. Aber der Säuregehalt des Erdreichs greift mit der Zeit die Knochenoberfläche an.« Sie zeigte auf die Elle des Skeletts direkt neben ihr. »Das ist hier nicht geschehen. An keinem der gefundenen Knochen. Ich habe nicht die geringste Spur von Ablagerungen an den Knochen entdeckt.«
»Aber Sie können sagen, wie alt jede Person zu ihrem Todeszeitpunkt gewesen ist, oder?« Das war wieder Andrews. Sie schritt langsam von Bahre zu Bahre und betrachtete jedes einzelne Skelett, als könnte sie so die Antworten herausholen, die sie suchte.
»Zumindest kann ich einen Näherungswert nennen.« Sie ging um Andrews und Barnes herum, zurück zur ersten Bahre. »Zu Identifizierungszwecken bezeichnen wir die Überreste als Person weiblich A bis C und Person männlich D bis G. Aber vergessen Sie nicht, dass die Daten noch sehr vorläufig sind«, betonte sie. Cait war weit davon entfernt, in Beton gegossene Schlussfolgerungen zu ziehen, bevor sämtliche Untersuchungen abgeschlossen waren. Doch im Laufe von Ermittlungen erstellte sie regelmäßig eine Sammlung von Einzeldaten, die sich nach und nach zu einem Bild formten, je mehr Informationen ans Licht kamen.
Angesichts der Ungeduld, die sich auf der Miene von Sheriff Andrews abzeichnete, war Cait nur allzu gern bereit, ihr die vorläufigen Ergebnisse mitzuteilen, und so sprach sie schnell weiter. »Es sind alles Erwachsene. Ohne die Köpfe muss ich mich auf eine Untersuchung der Gelenkfläche des Darmbeins stützen sowie auf die sternalen Enden der rechten Rippen drei bis fünf und die Schambeinfuge. Keines der Skelette weist geriatrische Merkmale auf. Allerdings habe ich bei Person weiblich C und den männlichen Personen D und G Anzeichen von Arthrose gefunden. Zieht man all diese Befunde in Betracht, liegt das Alter der einzelnen Personen zwischen Ende dreißig und Mitte sechzig.«
»Jetzt kommen wir endlich weiter.« Auf Andrews’ sonst so strenger Miene zeichnete sich ein entspanntes, kleines Lächeln ab. »Geht’s auch noch genauer?«
»Ja, unsere Ergebnisse sind in einer Abschrift dokumentiert, die ich für Sie vorbereitet habe.« In Caits Mundwinkeln zuckte es. »Ich habe versucht, so weit wie möglich auf komplizierte medizinische Terminologie zu verzichten. Das jüngste unserer Opfer ist Person weiblich C mit etwa fünfunddreißig bis vierzig Jahren. Das älteste ist Person männlich D, der zum Zeitpunkt seines Todes zwischen sechzig und fünfundsechzig Jahre alt gewesen sein muss.«
»Können Sie sagen, wer von ihnen am längsten da unten gelegen hat?« Andrews zog ein Taschentuch hervor und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. Da im Raum konstante zwanzig Grad herrschten, vermutete Cait, dass die Frau Hitzewallungen hatte. Ihr Gesicht war leuchtend rosa angelaufen.
»Nein. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich die Reihenfolge ihres Ablebens rekonstruieren kann, ist ziemlich gering. Und der heikelste Teil des Verfahrens wird es ohnehin sein, das Alter der Skelettbestandteile selbst zu bestimmen.«
Barnes und Andrews wechselten einen Blick. »Was ist mit der Radiokarbonmethode?«, wollte der Deputy wissen.
»Das ist zeitraubend, teuer und würde lediglich ein Datum liefern, das sich innerhalb eines bestimmten Jahrhunderts bewegt.« Cait schüttelte den Kopf. »Da wir es nicht mit archäologischen Fundstücken zu tun haben, ist das unnötig. Ich kann Ihnen mit großer Sicherheit sagen, dass mindestens eines dieser Opfer innerhalb der letzten zwölf bis achtzehn Monate gestorben ist.«
»Heilige Scheiße!«, keuchte Barnes und schloss einen Moment lang die Augen.
Andrews erstarrte mitten dabei, ihr Taschentuch wegzustecken. Und das plötzliche Strahlen auf ihrer Miene beunruhigte Cait gewaltig. »Wie können Sie da sicher sein? Sie haben
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