Knochenzeichen
hinter ihm dreintrottete, sah sie sich ein letztes Mal um. Das Zuhause eines Menschen enthüllte oft eine ganze Menge über den Betreffenden. Sharpers Heim enthüllte lediglich, dass er die Natur liebte und seine Privatsphäre schätzte. Keines von beidem war besonders aufschlussreich.
Neugier gehörte zu ihrem Beruf. Und so lastete sie es dieser Tatsache an, dass sie am liebsten zurückgeblieben wäre und sich noch ein bisschen umgesehen hätte. Schließlich war Sharper nicht nur derjenige, der die Skelette gefunden hatte.
Soweit sie die Landkarten in Erinnerung hatte, könnten sich auch irgendwo auf seinem Grundstück heiße Quellen befinden.
Das Essen war nichts Besonderes. Nur ein Käsesandwich und eine Suppe. Aber er machte sich Mühe mit dem Tablett, so wie er es von seiner Mutter in Erinnerung hatte, wenn er krank war. Präsentation war alles.
Vorsichtig tappte er zur Kellertür und scheuchte Iron Man, eine seiner Perserkatzen, aus dem Weg. Er stellte das Tablett auf einem Bord ab und entriegelte das Türschloss, die Hand dabei stets auf der Pistole in seinem Hosenbund. Er musste immer mit der entfernten Möglichkeit rechnen, dass auf der anderen Seite der Tür eine böse Überraschung auf ihn wartete.
Doch der Eingang zum Keller war abgesehen von Schatten leer.
Fröhlich machte er die Lichter an, schob die Pistole wieder zurück, um das Tablett zu nehmen, und stieg die steilen Stufen hinunter. Einst war der Keller kaum mehr gewesen als eine Erdgrube. Doch er hatte die Wände mit Zementblöcken verstärkt und einen Betonboden hineingegossen. Dann hatte er alles sorgfältig mit dickem Isolationsmaterial überzogen, um es noch schalldichter zu machen. Er war geschickt mit den Händen und achtete stets auf solche Einzelheiten.
Er durchquerte seine Werkstatt und setzte erneut das Tablett ab, diesmal auf seinem Arbeitstisch, die Hand nach wie vor auf der Waffe, während er die Tür zu der inneren Kammer aufschloss. Die Tür schwang auf und gab den Blick auf seinen jüngsten Gast frei.
Die Frau saß zusammengesunken auf dem Gartenstuhl, den er ihr hingestellt hatte, die Handgelenke an die schweren Ringe gefesselt, die an den Wänden festgeschraubt waren. Natürlich war sie nackt. Das waren sie immer. Wie sonst hätten sie sich mit derart gefesselten Händen erleichtern sollen?
Weil er ein Gentleman war, wandte er den Blick ab. Schon seit langem fühlte er sich zu niemand anderem mehr hingezogen als zu Sweetie. Ein Anflug von schlechtem Gewissen durchzuckte ihn, doch er schob ihn weg. Das andere zählte nicht. Ein Mann hatte seine Bedürfnisse. Und er und Sweetie … tja … das war kompliziert.
»Abendessen.« Er stellte das Tablett auf den Boden, nahe genug, dass die Frau es erreichen konnte, jedoch stets so, dass er außer Reichweite ihrer ungefesselten Füße blieb. »Sie werden auch für die Suppe den Strohhalm benutzen müssen. Aber ich bin mir sicher, Sie schaffen das ohne Probleme. Nehmen Sie zuerst nur einen kleinen Schluck. Sie wollen sich ja nicht den Mund verbrennen.« Er ging zu dem Regal an der Wand gegenüber und stellte den CD-Player an.
»Bitte.« Ihre Stimme war heiser, was ihr gerade recht geschah, nachdem sie die letzten Tage so viel geschrien hatte. Er hatte ihr gesagt – er sagte es ihnen immer –, dass Schreien nichts nützte. Keine von ihnen hörte darauf.
Es war ihm zuwider, Isolierband zu benutzen, um sie zum Schweigen zu bringen. Irgendwie kam es ihm respektlos vor. Zum Glück war es nur selten notwendig. Die innere Kammer war so gut isoliert, dass er die Schreie fast nicht einmal hörte, wenn er im Nebenraum arbeitete.
»Ich schwöre, wenn Sie mich gehen lassen, sage ich zu niemandem ein Wort. Ich verspreche es. Lassen Sie mich einfach gehen. Ich will nach Hause.« Ihre Worte endeten in einem Wimmern.
»Haben Sie Lust auf Jazz oder Oldies?« Sie hatte ihm am allerersten Abend ihre Lieblingsmusik verraten. Am Anfang sagten sie ihm immer alles, was er sie fragte. Er war ein sehr guter Zuhörer. Das sagten alle. Er schob eine CD von Benny Goodman ein und lächelte sie an. »Ich leere Ihren Nachttopf, während Sie essen. Guten Appetit.«
»Lassen Sie mich gehen!« Die Ketten rasselten, als sie auf ihn losstürzte. Und es tat ihm nicht das kleinste bisschen leid, als sie ihren Lauf aufhielten und sie mit solcher Wucht an den Handgelenken zurückrissen, dass sie garantiert blaue Flecken davon bekäme. »Sie Monster! Sie dreckiger Scheißkerl! Lassen Sie mich ge-e-e-ehn …«
Er
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