Knochenzeichen
hat er uns am Ende auch unterbrochen. Wann ist er rausgekommen?«
Sharper schaffte es, den Becher bis zum Mund zu bringen. Er trank einen Schluck und zog eine kleine Grimasse. »Ich hasse Fassbier«, knurrte er und stellte den Becher ab. »Wo rausgekommen?«
»Er war im Gefängnis. Und sie sind nicht verheiratet.« Kathy hatte keinen Ring getragen, und die verstohlene Berührung ihrer Hände hatte gewirkt wie bei einem Liebespärchen. »Ich vermute, er ist seit mindestens zwei Jahren auf freiem Fuß.« Frisch entlassene Strafgefangene hatten eine ganz bestimmte Ausstrahlung. Paranoia, gepaart mit einer gewissen Schreckhaftigkeit. Der Mann war lange genug draußen, um einen Großteil dieser Nervosität verloren zu haben, aber noch nicht lange genug, um die Gefängnistattoos verblassen zu lassen.
»Vier Jahre. Vielleicht fünf.«
»Wofür hat er gesessen?«
»Weiß ich nicht.« Seine Lässigkeit wirkte aufgesetzt. »Nicht meine Angelegenheit.«
»Und du bist ein großer Fan davon, dich nur um deine Angelegenheiten zu scheren.« Sie trank ihm zu und nahm einen Schluck. Insgeheim stimmte sie ihm voll und ganz zu, was den Geschmack betraf.
»Wenn nur mehr Leute der gleichen Meinung wären.« Er wechselte seine Sitzposition und streckte die Beine aus, als wollte er es sich gemütlich machen. »Die Hälfte der Probleme der Welt wäre gelöst, wenn die Leute sich einfach verdammt noch mal gegenseitig in Ruhe lassen würden.«
»Schon mal daran gedacht, zum Einsiedler zu werden?«
Er nickte mit gespieltem Ernst. »Allerdings. Hab nur noch nicht rausgefunden, wie ich dabei regelmäßigen Sex unterbringe.«
Sie musste lachen. Eines musste man dem Mann lassen: Er war authentisch. Niemand würde je im Zweifel darüber bleiben, woran er bei Zach Sharper war. Dieser Charakterzug ließ sie darüber nachsinnen, wie er sich wohl im Bootcamp gehalten hatte, mit einem Sergeant als Ausbilder, der seine Untergebenen aus vollem Hals anbrüllte. Bedeutete ihm der Soldatenstatus so viel, dass er für die Chance, seinen Traum zu verwirklichen, seine angeborene Selbstsicherheit hinuntergeschluckt hatte?
»Was noch?«
Seine Frage riss sie in die Gegenwart zurück, zu ihrem Gespräch. »Wie – was noch?«
Er nickte mit dem Kopf zu den Leuten an den Tischen um sie herum. »Lass mal noch ein paar Vermutungen hören. Ich sag dir dann, wie nah du dran bist.«
Sie ließ den Blick eine Zeitlang über die anderen Gäste wandern. »Der Typ da drüben, rechts von Gibbs, arbeitet auf einer Farm. Die Blonde in der Ecke mit dem grauen Pullover? Sie ist drogensüchtig. Kommt gerade erst von irgendeinem Trip runter. Der Kleine ganz links an der Bar ist derjenige, der mit der höchsten Wahrscheinlichkeit als Erster eine Schlägerei anfängt. Und der mit dem roten Bandana, der gerade Darts spielt, bleibt als Letzter aufrecht stehen, wenn tatsächlich eine ausbricht.«
»Meine Wenigkeit natürlich ausgenommen.«
Sie neigte den Kopf. »Natürlich.« Es bedurfte keiner besonderen Beobachtungsgabe, um zu erkennen, dass Zach Sharper der gefährlichste Mann im Raum war. Selbst wenn sie ihn nicht gekannt hätte, hätte sie das in der ersten Minute nach Betreten des Lokals gewusst. Seine ruhige Wachsamkeit strahlte etwas aus, das einem klarmachte, dass es günstig wäre, bei einer Schlägerei die Rückendeckung dieses Mannes zu haben.
Und riskant, ihm in die Quere zu kommen.
»Nicht schlecht.« Der Ausdruck des Respekts auf seiner Miene wäre noch befriedigender gewesen, wenn er nicht von Erstaunen begleitet gewesen wäre. »Jodie Paulsen arbeitet als eine Art Tagelöhner auf dem Hof von Tim Jenkins, der zwischen hier und Blue River wohnt. Beth Swensons Lieblingsdroge zurzeit ist Meth. Und Tyler Babcocks Maul ist größer als sein Gehirn.« Er drehte den Kopf leicht zur Seite und musterte den Mann an der Dartsscheibe. »Den da drüben kenne ich nicht. Wahrscheinlich ein Holzfäller. Weiß nicht, ob ich da deiner Meinung bin.«
»Ich wette zwanzig Dollar, dass er ein Messer im Stiefel stecken hat.«
Er warf erneut einen kurzen Blick auf ihn. »Die Wette gilt. Und wie willst du das rausfinden?«
Sie lächelte voller Genugtuung. »Überlass das mir. Ich habe ein …« Als ihr Handy klingelte, fischte sie es heraus und sah aufs Display. Nicht ihre Mutter. Es war lächerlich, wie erleichtert sie war. Allerdings war es auch keine Nummer, die sie kannte.
Sie stand auf, meldete sich und ging in Richtung Tür. »Fleming.« Die Hintergrundgeräusche in der
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