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Knockemstiff (German Edition)

Knockemstiff (German Edition)

Titel: Knockemstiff (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Ray Pollock
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meine Mühen in die Hand drücken, aber ich habe sie nur gebeten, mir eins der Fotos zu schicken. »Eins von dem Mädchen und mir«, habe ich zu ihr gesagt, und sie hat es mir versprochen. Wenn das Foto kommt, werde ich es tagsüber in den Laden hängen, damit die Leute es sehen können. Und bei Nacht hänge ich es ab.

MIT HAUT UND HAAR
    Wenn die Leute in der Stadt »inzüchtig« sagten, meinten sie eigentlich »einsam«. Zumindest redete sich Daniel das gern ein. Er brauchte die langen Haare. Ohne sie war er nur ein irres Landei aus Knockemstiff, Ohio – Alte-Leute-Brille, Akne und knochige Hühnerbrust. Wissen Sie, wie das ist? Mit vierzehn ist das noch schlimmer, als tot zu sein. Und als sein alter Herr Daniels Haare mit dem Fleischmesser absäbelte, dasselbe, mit dem seine Mom Mortadella schnitt und den Schweinebacken die Borsten abkratzte, hätte er auch genauso gut gleich den hässlichen Kopf des Jungen abschneiden können.
    Der Alte hatte Daniel dabei erwischt, wie er im Räucherhaus mit Lucy spielte, der Puppe seiner kleinen Schwester. Daniel besorgte es ihr richtig, tat so, als sei sie Gloria Hamlin, die rotzfreche Cheerleaderin mit den krummen Zähnen, die ihn letztes Jahr in der Schulcafeteria mit Schokomilch bespuckt hatte. »Junge, das ist Marys Puppe«, sagte der Alte, als er die Tür zum Räucherhaus aufriss. Das sagte er ganz nüchtern, so als wollte er seinem Sohn nur mitteilen, dass sie im Radio Regen angesagt hätten oder dass die Schweinepreise mal wieder gefallen seien.
    Was das Ganze noch schlimmer machte, war, dass Daniel nicht mehr damit aufhören oder es auch nur ruhiger angehen lassen konnte. Gefangen im strahlenden Juli-Sonnenschein, der durch die offene Tür hereinfiel, verharrte er an jener Stelle in seiner Fantasie, wo Gloria ihn anflehte, sie mit seinem großen haarigen Monsterschwengel zu durchbohren; seine arme Hand hätte auch dann nicht aufhören können, wenn der Alte sie ihm abgehackt und den Hunden zum Fraß vorgeworfen hätte. Mit einem Schauder entlud er seine Ladung auf Lucys Plastikgesicht, den schiefen, orangenen Mund, die blauen Schlafaugen. Dann kam eine schwarze Wespe wie ein Omen aus dem Dachgebälk und landete sanft auf den blonden Kunsthaaren der Puppe.
    »Das ist Marys Puppe«, wiederholte der Alte, doch diesmal nahm seine Stimme an Fahrt auf und vibrierte vor Spannung. Er stand eine Weile da und besah sich die Puppe, die Daniel noch immer in seiner zitternden Hand hielt. Die Wespe mühte sich aus dem Haar heraus. »Ich wusste schon immer, dass du ein zurückgebliebener Idiot bist«, sagte der Alte, streckte die Hand aus und zerdrückte das Insekt zwischen zweien seiner schwieligen Finger. Dann verzog er den Mund und spuckte einen Strahl braunen Tabaksaft auf Daniels nackte Füße, etwas, das er gern spontan bei seiner ganzen Familie tat. »Jetzt mach den Hosenstall zu und schmeiß das verdammte Ding weg, bevor deine Schwester es in die Finger kriegt«, sagte er. »Um dich kümmere ich mich später.«
    Daniel, der sich unter der Last einer weiteren Entwürdigung beugte, trug Lucy zum Black Run und warf sie ins trübe Wasser. Er sah zu, wie sie an dem Kabel vorbeischwamm, das die Grenze ihres Grundstücks markierte, und ging dann langsam über die Weide zurück zum Haus. Vielleicht verwandelte er sich ja in ein Sexmonster, genau wie sein Onkel Carl, dachte er. Er stellte sich vor, wie er drüben in Athens in der Klapsmühle saß und sich eine Zelle mit seinem durchgeknallten Onkel teilte, kranke Geschichten über die guten alten Zeiten erzählte und sich mit ihm darüber stritt, wer einem am besten einen blasen konnte, Barbie oder Ken.
    Den ganzen Nachmittag über beobachtete Daniel argwöhnisch den Alten, der mit seiner Flasche Wein herumstolzierte wie der Prinz von Knockemstiff; wie ein aufgeblasener Windbeutel, der keinerlei Gnade kannte und Blutsverwandte für einen Sack Mais umbringen würde. Kurz vor dem Abendessen rief er Daniel schließlich in die Küche. Der Rest der Familie saß schon um den Resopaltisch mit dem krummen Bein versammelt, um dem königlichen Gequatsche zu lauschen. Daniels Mom polierte nervös einen ihrer Schmalzeimer, und Toadie, der kleine Bruder, streckte immer wieder die Zunge nach dem Fliegenpapier aus, das von der Decke baumelte, während seine Schwester Mary so stocksteif vor dem Fenster stand wie ein Baum.
    Der Alte umkreiste Daniel, kratzte sich am Kinn und begutachtete den Jungen, als handelte es sich um ein zu prämierendes Ferkel

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