Knockemstiff (German Edition)
bei der Landwirtschaftsausstellung. Schließlich blieb er stehen und verkündete: »Du brauchst einen verdammten Haarschnitt, Junge.«
Daniel, dessen Herz wie ein Stein niedersank, holte tief Luft und ergab sich in Gedanken schon der Schere, die seine Mom in der Küchenschublade aufbewahrte. Doch dann zückte der Alte überraschenderweise das lange Messer und drückte seinen Sohn auf den Stuhl. »Wenn du dich auch nur einen Millimeter rührst, skalpier ich dich wie eine Rothaut«, sagte er, nahm eine lange braune Strähne von Daniels Haaren in die Faust und sägte kurz über der Kopfhaut daran herum. So war er, der Alte: Wenn alle am Boden waren, brütete er erst recht Unheil aus. Es war, wie auf dem elektrischen Stuhl zu sitzen, dachte Daniel später, wenn auch ohne das Vergnügen, zu sterben oder auch nur eine Henkersmahlzeit zu kriegen. Bei all den Blutspritzern auf dem Maisbrot und den Haaren, die in der Bohnensuppe schwammen, wer hatte da noch Hunger?
Später am Tag schlich sich Toadie hinaus zu dem vergammelten Picknicktisch unter dem Hickorybaum, wo sein älterer Bruder saß und über sein Haar und dessen Schicksal nachbrütete. Den ganzen Sommer über hatte Daniel davon geträumt, nach dem Labor Day mit bis auf die Schultern hängenden Haaren in den Schulbus zu steigen. Die Szene spielte sich vor seinem geistigen Auge so lebendig ab wie ein Film, doch nun hatte sein Alter ihm das alles genommen. »Du siehst aus wie ne bescheuerte Glühbirne«, sagte Toadie und fuhr sich mit einem kaputten Plastikkamm durch die eigenen fettigen Locken.
»Halt die Schnauze«, erwiderte Daniel.
»Du warst hässlich, aber jetzt bist du richtig hässlich«, setzte sein kleiner Bruder nach.
»Willst du einen Tritt in den Arsch?«
»Mary will ihre Puppe wiederhaben«, sagte Toadie, der wild entschlossen war, weiter darauf herumzureiten.
»Sag ihr, sie ist weggelaufen.«
»Das ist nicht wahr, und das weißt du auch«, sagte Toadie, doch dann runzelte er die Stirn, als sei er sich nicht sicher. »Wie soll das denn gehen?«
Daniel sah über die Hügel hinter dem Haus. Die Sonne ging wie eine zischende Bombe hinter dem Mitchell Cemetery unter; auf dem Friedhof, unter der Erde, da wuchsen die Haare ungestört weiter, wurden nicht von Fleischmessern und alten Männern traktiert. »Sie ist getrampt«, sagte er zu seinem kleinen Bruder.
Als er in jener Nacht im Bett lag und hörte, wie sein Vater über eine Rock-’n’-Roll-Band fluchte, die in der
Ed Sullivan Show
auftrat, ging Daniel auf, dass jeder trampen konnte, auch er. Er hatte genug davon, mit einem Idiotenhaarschnitt herumzulaufen, hatte genug von Schmalzsandwiches und davon, sich Filme im Kopf auszudenken, während sein Alter den Fernseher blockierte. Als Ed die Band bat, noch eine Zugabe zu spielen, hörte Daniel, wie eine Flasche gegen die Wand flog. »Da kann ich mir ja gleich Nigger anhören, die sind noch besser als dieser Scheiß«, brüllte sein Vater den Fernseher an. Der Junge fuhr sich mit den Händen vorsichtig über den Kopf und suchte nach jedem winzigen Schnitt, der von dem Messer stammte. Dann drehte er sich auf die Seite und plante seine Flucht.
Ein paar Tage später ging Daniel zur Route 50 und streckte den Daumen raus. Es dauerte nicht lange, dann ließ ein weißer Sattelschlepper die Bremsen zischen und kam bockend auf dem Asphalt zum Stehen. Der Trucker hieß Cowboy Roy. Zumindest war dieser Name mit zerfranstem schwarzem Klebeband auf die rostigen Türen der Fahrerkabine geklebt. »Ich bin gar kein Cowboy«, platzte der Mann gleich heraus, noch bevor der Junge überhaupt Platz genommen hatte. Er fuhr wieder auf den Highway und sagte, er habe auch noch nie auf einem Pferd gesessen. Außerdem sei er gegen Pferdehaare allergisch. »Aber ich schätze, jeder hat sein Kreuz zu tragen«, sagte der Trucker und schob den schwarzen Ten-Gallon-Hut auf seinem runden, schweißigen Kopf nach hinten.
Cowboy Roy war auf dem Heimweg nach Illinois. Er war fett und trug einen eng sitzenden Overall, der jedes Mal, wenn er über einen Huckel auf der Straße fuhr, aus den Nähten zu platzen drohte. Seine Füße steckten in braunen Cowboystiefeln. Am Spiegel baumelte ein Paar Sporen. Als Ausgleich für die Pferdeallergie tat Cowboy Roy alles, was ein Cowboy sonst so machte – Whiskey aus der Flasche trinken, Kautabak kauen und Songs schreiben, die sich nach Marty Robbins anhörten.
Daniel sagte kein Wort. Er fand, der Mann hatte ebenso das Recht, sich als Cowboy zu
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