Knockemstiff (German Edition)
bezeichnen, wie die Filmstars im Fernsehen. Der Trucker plapperte weiter, erklärte, wie man bei Regen Feuer macht. Plötzlich verstand Daniel, dass man hier draußen auf der Straße sein konnte, wer immer man wollte. Man konnte jedem Fremden, der einen mitnahm, eine andere Lebensgeschichte erzählen. Man konnte Pfadfinder sein ohne ein einziges Abzeichen, ein Millionär ohne einen Penny in der Tasche, ein Cowboy ohne Pferd.
»Also«, meinte Cowboy Roy schließlich, »wo hast du denn den Haarschnitt her? Haben die Bullen dir das angetan?«
»Nee, mein alter Herr«, antwortete Daniel.
»Verdammt, da muss er aber ziemlich stinkig gewesen sein«, sagte der Trucker. »Was hat ihn denn so auf die Palme gebracht?«
Daniel zögerte, dachte an den Tag im Schuppen mit Lucy und sagte dann: »Er hat mich mit seiner Freundin erwischt.«
Cowboy Roy pfiff leise. »Tja, das ist wohl Grund genug«, sagte er. »Aber ob Pa oder nicht, wenn mich ein Kerl derart skalpieren würde, dann würde ich ihn über den Haufen schießen.«
»Nicht, dass ich das nicht gewollt hätte.«
»Aber dann bist du lieber weggelaufen?« fragte der Trucker.
»Wenn ich zurückkomme, reichen mir die Haare bis an die Knie«, sagte der Junge und starrte durch die dreckige Windschutzscheibe hinaus.
Als sie gerade die Grenze nach Indiana überquerten, gab Cowboy Roy Daniel ein rotes Schnupftuch, das er sich um den Hals binden konnte. Auch er selbst trug so eines. »Dann glauben die Leute, wir arbeiten für dieselbe Firma«, erklärte er. Er reichte dem Jungen eine Mundharmonika, auf der er spielen sollte. Cowboy Roy wollte ein Lied singen, das er sich gerade ausgedacht hatte. Daniel pustete seine Wangen auf und hob die Mundharmonika an die Lippen, doch dann entdeckte er einen dicken Tropfen Tabaksaft, der aus einem der Löcher quoll. »Ich kann gar nicht spielen«, sagte er zu dem Trucker.
»Quatsch, blas einfach in das verdammte Ding«, erwiderte Cowboy Roy. »Du weißt doch, wie man bläst, oder?«
»Ich denke schon.«
»Ja, darauf wette ich«, sagte der fette Kerl und grinste.
»Wie heißt denn das Lied überhaupt?« fragte der Junge und schlug sich die Mundharmonika auf das Knie, um die Spucke herauszukriegen.
»Hat noch keinen Namen«, sagte der Trucker, »aber es ist das verdammt noch mal beste Liebeslied, das ich je geschrieben habe.«
Sie fuhren durch den Süden Indianas, vorbei an schläfrigen Maisfeldern, nachgebildeten indianischen Grabhügeln und kleinen Dörfern, die noch immer mit schlaff hängenden Bannern und angemalten Felsbrocken für den 4. Juli geschmückt waren. Cowboy Roy brach eine Flasche billigen Whiskey an, und schon bald fühlte sich Daniels Kopf an wie Zuckerwatte. Der Trucker faselte ununterbrochen davon, direkt nach Mexiko durchzubrettern. Sie könnten Banditen werden, meinte er, und sich in einer verräucherten Cantina verstecken, mit einem Laufburschen, der ihre Reste vom Tisch essen und sie dafür noch anhimmeln würde. Er beschrieb den jungen Miguel in allen Einzelheiten, bis hin zu einem winzigen roten Muttermal auf dem Unterleib. Dann zog er eine kleine Plastikflasche aus dem Overall und schüttelte ein paar weiße Pillen heraus. »Hier«, sagte Cowboy Roy und reichte Daniel zwei davon.
»Was ist das?« fragte der Junge.
»Die Lebensretter des Truckers. Die halten dich wach und deinen Pimmel hart wie Beton. Die Langhaarigen nennen es Speed.«
Daniel fiel ein, dass er schon mal ein Foto von einem echten Speedfreak gesehen hatte, in Mrs. Kennedys Gesundheitsstunde in der Schule. Ihr Bruder, ein Wachmann aus Kentucky, hatte es ihr geschickt. Die Lehrerin hatte behauptet, der Mann auf dem Foto sei erst dreißig. Die Haut seines grinsenden Gesichts war so straff gespannt gewesen wie das Fell einer Trommel. »Wenn man erst mal damit anfängt, wird man zu einem dieser Kometen im Weltall, die immer weiter fliegen«, hatte die Lehrerin an jenem Tag die Klasse gewarnt und das Foto von dem blassen dürren Kerl mit dem schwachen Herzen herumgehen lassen. Daniel sah auf die weißen Pillen, die der Trucker ihm gegeben hatte, dann warf er sie sich in den Mund und wartete auf den Abflug.
Cowboy Roy war ein unabhängiger Fahrer, war aber meistens für einen großen Schlachthof in Illinois unterwegs und lieferte in der ganzen Tristate-Gegend Fleisch aus. Er hatte schon so viel Dreck gesehen, dass er das Fleischessen fast ganz aufgegeben hatte. »Wenn ich sehe, wie eine Mutter ihrem Baby einen Hotdog in den Mund steckt, bricht
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