KNOI (German Edition)
pervers.
- Weil er mit mir ficken will?
- Musst du so reden?
- Wieso? Hat dich Vater nie gefickt?
- Dein Vater hat nicht gefickt, er hat mich geliebt. Zumindest eine Zeitlang.
- Also ist
ficken
ein Hasswort für dich?
- Kind, er will mit dir ins Bett, weil du gelähmt bist. Und das nenne ich pervers.
- Hier stinkt es. Du solltest lüften.
Irgendwann hatte Marie begonnen, wie eine alte Frau zu riechen. Jennifer hatte es nicht gleich bemerkt, obwohl oder vielleicht weil sie ihre Mutter jede Woche besuchte. Dass die Kosmetikindustrie nichts gegen diesen Geruch unternehmen konnte. Jeden Freitag kam Jennifer pünktlich zur Dämmerung und fuhr vor Mitternacht. In den Wintern kam sie früher. Durfte aber deshalb nicht früher fahren. Täglich stellte sich Marie den Wecker auf fünf Uhr. Auch in den Sommermonaten. Die Jalousien ließen kaum Licht durch. Wenn Jennifer kam, frühstückten sie gemeinsam. Alle vier Wochen drehte ihr Jennifer die Haare ein, wobei sie sich fragte, ob sich ihre Mutter irgendjemandem zeigte. Aber Prinzipien brauchten keinen Anlass. Ihre Mutter, die sie seit dem Unfall Marie nannte, ohne dabei das Gefühl der Vereinnahmung zu verlieren, lebte so, als könnte es jederzeit an der Tür läuten. Immer war genügend im Kühlschrank, um jemanden zu bewirten. Nie blieb sie im Nachthemd, obwohl sie keiner zu Gesicht bekam. Sie putzte täglich das Haus, um sich vor etwaigen Besuchern nicht genieren zu müssen. In der Nacht goss sie die Pflanzen und schnitt die Blumen. Wenn es draußen dunkel wurde, gingen sie in den Wald spazieren.
- Ich habe geträumt, dass dir etwas zustößt.
- Das träumst du ständig. Hör auf damit.
- Und? Ich habe Recht behalten.
- Meistens ist mir nichts passiert.
- Dein Rollstuhl stand am Ufer dieses Flusses.
- Ich will es nicht hören.
- Der Rollstuhl war leer.
- Hör auf. Du musst mich schieben.
- Aber es gibt einen Weg.
- Schieb mich trotzdem.
Jennifer war fünf, als sie das erste Mal weggelaufen war. Sie hatte ihren pinken Rucksack gepackt und war unbemerkt aus dem Haus geschlichen. Ihre Eltern hatten es erst Stunden später bemerkt. Wie die Treiber waren sie ausgeschwärmt, sogar ihre Schwester Conny war panisch in Rohrbach herumgelaufen. Ihr Vater sagte später, er sei krank vor Sorge gewesen. Das hatte Jennifer gefallen. Krank vor Sorge. Das war besser als der Beifall, den sie für ihre Maskeraden erhielt. Jennifer hatte sie alle reingelegt, sie hatte sich unter der Veranda versteckt. Und als alle weg waren, hatte sie sich in ihr Bett gelegt und war eingeschlafen. Sie hatte schon immer Angst vor dem Wald gehabt.
- Im Wald leben Menschen. Ich habe sie entdeckt, als ich letztens zu tief hineingeriet.
- Was für Menschen?
- Sie leben in Zelten.
- Ich will sie sehen.
- Du glaubst mir nicht.
- Wenn ich sie sehe, dann glaube ich dir.
- Sie leben abseits der Wege.
- Wie viele sind es?
- Hör auf, mich wie eine Wahnsinnige zu behandeln.
- Und wie sehen sie aus?
- Ich habe nie einen gesehen.
- Natürlich nicht.
- Wenn ich komme, schlafen sie.
- So wie Conny.
- Hast du mit ihr gesprochen?
- Natürlich nicht.
- Sie ist wach, wenn ich wach bin. Es gibt keine Ausrede.
- Es ist wegen mir, nicht wegen dir, Marie.
- In meiner Umgebung sterben alle.
- Sie ist nicht tot.
- Wer in Australien lebt, ist tot. Zumindest für mich.
- Dreh den Spieß nicht um.
- Australien ist eine Insel für Flüchtlinge.
- Australien ist ein Kontinent.
In Rohrbach erzählte man sich heute noch die Legende der jungen Kerbler. In neun Unfälle mit Totalschaden soll sie verwickelt gewesen sein. Und immer war es die junge Kerbler, die als Beifahrerin überlebte. Natürlich durfte man da nicht zu viel hineindichten. Es war nicht ungewöhnlich, wenn ein junger Rohrbacher in einem Auto ums Leben kam. Aber bemerkenswert war das schon. In so viele Unfälle war noch keine Rohrbacherin verwickelt gewesen. Neun Mal hatte man sie aus der Havarie gelöffelt. Beim zehnten Mal war sie nicht mehr zurückgekehrt. Man sagte, mit der letzten Karosserie habe man auch ihr Herz verschrottet.
- Was ist, Mutter?
- Jennifer, schau mich an. Wegen diesem Mann. Glaub mir, es ist immer traurig, wenn es passiert.
VIER
Lutz hatte immer gesagt, dass er diese Paartherapie nicht brauche, und als er erfuhr, dass sie anfangs getrennt bei Doktor Haselbrunner säßen, da sagte er, dass die Doktorin bestimmt selbst den größten Schaden habe, so wie alle Psychotherapeuten immer den größten Schaden hätten,
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