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KNOI (German Edition)

KNOI (German Edition)

Titel: KNOI (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schalko
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Essen waren. Dieses Kindergewirr, wie sie sagte, beruhigte Hilde. Wenn sie sah, wie es sein könnte, entstand bei ihr automatisch der Glaube, dass dieser Zustand für jeden erreichbar wäre. Das Abbild und die Kopie des Abbildes waren für sie das Gleiche, waren der Antrieb, der diese Welt in Bewegung hielt. Und am stärksten war der subkontinentale Verkehr, das wusste Hilde. Denn sie konnte ihn sehen. Hilde saß in der Sandkiste und beobachtete Max, der nach toten Tieren suchte, die er beerdigen konnte. Vor ihr die rote Schaufel, die darauf wartete, Gruben für Kadaver zu schaufeln. Ein kalter Wind wehte, und die Eltern hielten Abstand zu der korpulenten Frau in der Sandkiste. Beinahe jeder von ihnen war von ihr schon einmal in ein Gespräch verwickelt worden. Doch keiner wollte gemeinsam mit Hilde nach seinen Subkontinenten schürfen. Die Bohrungen waren schmerzhaft. Kein Geplänkel. Hilde wusste das. Und manche mieden den Spielplatz aus Angst, zu viel über sich selbst zu erfahren. Heute saß Hilde wie ein zu großes Kind alleine in der Sandkiste, nahm die rote Schaufel und stocherte damit lustlos herum. Sie spürte, wie sie von allen Seiten Blicke streiften. Sie schwirrten durch die Luft wie Krähen, die zum Tiefflug ansetzten. Aber Hilde reagierte nicht, ließ die Blicke schweifen und kreisen und picken und krähen. Bis alles verstummte. Nur noch ein Blick von hinten. Ein ruhiger, schweigender, abwartender. Einer, der immer da zu sein schien. So wie die Stille. Jetzt drehte sich Hilde um.
    Die Gestalt in der schwarzen Burka stand am anderen Ende des Spielplatzes hinter dem Zaun. Hilde konnte zwar ihre Augen nicht sehen, aber der Blick war eindeutig auf sie gerichtet. Die Burka flatterte im Wind. Sonst war die Erscheinung reglos, sie stand da wie ein Monolith. Waren sie gekommen, um Hilde zu holen? Die schwarze Gestalt fixierte sie, und Hilde versuchte, in sich zu verschwinden. Sie hatten sie aufgespürt. Ihr Werk war sichtbar geworden. Sie waren ihr bis hierher gefolgt, es gab kein Entrinnen. Selbst wenn Hilde den Blick abwandte und so tat, als hätte sie nichts bemerkt. Der Wind wehte durch die Burka. Kein Stückchen Haut schimmerte durch das Schwarz. Nichts verriet ein menschliches Antlitz dahinter. Max sagte, dort drüben stehe eine Uzor, und deutete auf die Gestalt.
    Hilde hatte ihn gar nicht kommen gespürt. Er saß vor ihr und hatte die Farbe des Sandes angenommen. Vor einer Uzor müsse sich Hilde wirklich nicht fürchten, sagte Max. Eine Uzor sei nicht giftig, und solange man sie in Ruhe lasse, greife eine Uzor so gut wie nie Menschen an. Aber sie sei eben neugierig, und daher verdecke sie ihr Gesicht. Die Neugier der Uzor sei eine regungslose Neugier, sagte Hilde, das mache Erwachsenen nun mal Angst. Dann solle sie sich halt einen Stein denken, sagte Max, vor einem großen Stein habe sie schließlich auch keine Angst. Hilde lächelte und wollte die Hand nach Max ausstrecken, der griff aber nach der Schaufel und sagte, es gebe eine traurige Nachricht, Luise sei am Weg von der Schaukel zur Sandkiste plötzlich gestorben. Einfach umgefallen sei sie. Man müsse sie sofort beerdigen. Max deutete auf den unsichtbaren Hund neben sich. Hilde hatte Luise seit Wochen nicht mehr gesehen. Sie war sich eigentlich nie sicher, ob sie je zurückgekehrt war. Ob sie Luise mit etwas einwickeln sollten, fragte Max. Richtig tief müsse man graben, damit kein anderes Kind versehentlich auf den Leichnam stoße. Ein Kreuz bräuchten sie, mit dem Namen drauf, ein richtiges Begräbnis eben.
    Hilde hielt Ausschau nach der schwarzen Gestalt, konnte sie aber nirgends ausmachen. Stattdessen stand plötzlich Ronald vor ihr. Er sagte, er besitze jetzt ein Aquarium. Max fragte ihn, ob er ihm helfen wolle, Luise zu beerdigen, schließlich sei es einmal auch sein Hund gewesen. Aber Ronald schüttelte gleichgültig den Kopf und lief wieder davon. Hilde sagte, dass es vermutlich besser sei, ihn woanders zu begraben, das Kreuz würde keinen Tag an seinem Platz bleiben. Sie meinte, man könne ja rüber zum Fußballplatz gehen, dort finde man bestimmt eine schöne Stelle. Hilde empfand eine seltsame Erleichterung, dass Luise so plötzlich gestorben war. Vielleicht kehrte jetzt wieder Ruhe ein. Und die Tore zum Subkontinent von Max ließen sich dann wieder durchschreiten. Sie stand auf und klopfte sich den Sand von ihrem Flanellkleid. Sie räusperte sich, und ihr Haarnest zitterte im Wind. Es war früher Nachmittag. Sie hatte Rita versprochen,

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