KNOI (German Edition)
und da waren sie – die Flugzeuge im Bauch, die in wilden Kamikazemanövern versuchten, die Magenwände zu durchstoßen. Erst jetzt fiel ihm auf, wie lange es her war, dass er sich verliebt hatte. Siebenunddreißig Jahre, acht Jahre, bevor er mit seiner Frau zusammenkam. Sie hieß Kristina, und er hatte sie von weitem auf einer Klippe stehen sehen. Ihre Blicke trafen sich, soweit er das aus dieser Entfernung beurteilen konnte. Die Begegnung hatte nur wenige Sekunden gedauert, aber Kristina ging ihm jahrelang nicht aus dem Kopf. Wahrscheinlich hieß sie auch gar nicht Kristina, aber in seinen Gedanken lebte sie in einem kleinen griechischen Dorf und wartete auf ihn. Diese Gewissheit ließ ihn in der dreißigjährigen Ehe mit seiner Frau so manches wegstecken.
Von Rita hingegen wusste er, dass sie Rita hieß. Und dass sie mit diesem Kerl schlief. Jakob Schober. Es wäre überhaupt kein Problem gewesen, diesem Jakob Schober den Mord anzuhängen. Aber Frauen waren romantisch. Und wenn ein Mann seine Frau für eine andere umbrachte, dann bewirkte das nicht zwangsweise Abscheu. Der Kommissar fragte sich, ob es klug wäre, stattdessen Lutz zu überführen. Das ginge vermutlich noch leichter, andererseits sah es nicht danach aus, als würde er noch Probleme machen. Diese Doktor Haselbrunner hatte ihm sogar ein Alibi verschafft. Hätte er die beiden getrennt voneinander befragt, wäre es in kürzester Zeit wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Aber es gab schließlich keine Leiche. So gesehen drohte ihm kein Disziplinarverfahren. Und wer weiß, vielleicht unternahmen Mutter und Tochter tatsächlich nur einen Ausflug. Wozu also Wellen schlagen. Außerdem war eine Trennung leichter zu verkraften als Gefängnis. Und der Kommissar musste jetzt auch an sich denken. Ein traumatisiertes Kind, das seinen Vater im Gefängnis besuchen musste, war schwieriger zu handhaben als eines, das nur einen Ersatzvater suchte. Der Kommissar hatte keine Erfahrung mit Kindern, aber er wusste, dass bei Frauen der Platz neben den Kindern sehr eng war.
Also kaufte er einen Strauß Blumen und läutete an Ritas Tür. Als sie öffnete, hielt er ihr das üppige Bouquet ins Gesicht und sagte, dass er noch ein paar Fragen habe. Rita bedankte sich, nahm die Blumen und bat ihn herein. Sie brachte ihm Tee, ohne zu fragen, welchen er bevorzuge. Alles fühlte sich von Beginn an vertraut an. Dann setzte sie sich ihm gegenüber, und der Kommissar dachte, dass sie vermutlich genauso beim Frühstück sitzen würden. Ob dieser Lutz ebenfalls an diesem Platz gesessen war? Rita senkte den Blick und sagte:
- Sie trinken gar nicht.
- Ist noch heiß.
- Das tut mir sehr leid.
- Ich bitte Sie. Ein Tee ist schließlich ein Tee.
- Sie sind vermutlich jemand, der die Dinge immer klar sieht.
Sie lächelte bewundernd, nicht ironisch. Sie wollte verdeutlichen, dass sie das nicht als Scherz gemeint hatte.
- Sonst kann man diesen Beruf vermutlich gar nicht ausüben.
Der Kommissar hob die Augenbrauen.
- Man ist schließlich auch Mensch und nicht nur Kommissar.
- Natürlich. So meinte ich das nicht. Wobei, Lutz war immer Zahnarzt. Wenn Sie verstehen, was ich meine.
- Ein Mann braucht einen Beruf, aber eine Frau braucht einen Mann manchmal auch ohne seinen Beruf.
- Sie scheinen Einiges von Frauen zu verstehen.
Rita öffnete ihr Haar. Es fiel ihr über die linke Gesichtshälfte. Sie strich es nicht weg. Der Kommissar zückte verlegen seinen Notizblock, und Rita deutete auf den Tee.
- Ich glaube, Sie können ihn jetzt schon trinken.
Er nickte wortlos und streckte den Kopf nach vorne. Ihr linkes Auge war verdeckt. Der Kommissar hielt es kaum noch aus, ihr das Haar nicht aus dem Gesicht zu streichen.
- Ist Ihr Kind gar nicht da?
- Ist das schon der Beginn des Verhörs?
- Ich würde es nicht Verhör nennen.
- Ich schon.
Ihre Blicke trafen sich, als stünde Rita auf einer Klippe und der Kommissar riefe ihr von unten die Fragen zu.
- Wo ist Ihr Kind?
- Unterwegs. Mit seiner Wahltante.
- Lebt sie hier?
- Vorübergehend.
- Sie sind nicht gerne allein?
- Ich hasse es.
- Wie lange waren Sie verheiratet?
- Lutz wollte nie heiraten.
- Und Sie?
- Immer. Jeden. Gleich.
- Wollten Sie mehr Kinder haben?
- Zuerst schon. Dann nicht. Max ist kein leichtes Kind, wissen Sie.
- Inwiefern?
- Sehr empathisch.
- Er wird einen Vater brauchen.
Rita seufzte und nahm damit kurz das Tempo aus dem Gespräch.
- Er hätte einen Vater gebraucht. Ja.
- War Lutz kein Vater?
- Er
Weitere Kostenlose Bücher