KNOI (German Edition)
Liane Schöttl zu fragen. Dieser stieg aber sofort in seinen Kombi und ergriff die Flucht. Durch die Sehgitter der Burka ertönte ein gedämpftes Seufzen. Die Gestalt sah sich um und ging dann auf das Postamt zu. Am Schalter hatte sich eine Schlange von drei Hundsdorfern gebildet, aber man ließ der Gestalt bereitwillig Vortritt, um gesenkten Blickes dem Gespräch zu lauschen. Der Mann am Schalter hatte keine Angst. Er stellte sich schützend vor die Post der Hundsdorfer und sagte, dass er natürlich wisse, wo Liane Schöttl wohne, schließlich befinde sie sich in der örtlichen Postzentrale, aber ob es Liane Schöttl auch recht sei, dass eine solche Erscheinung unangekündigt vor ihrer Tür stehe, das bezweifle er. Daher würde er vorschlagen, jetzt gemeinsam Frau Schöttl anzurufen, damit es dann für alle Beteiligten keine bösen Überraschungen gebe. Der mutige Postbeamte holte sich nickende Zustimmung von den anwesenden Hundsdorfern, und die schwarze Gestalt, die überraschenderweise sprach, als wäre sie aus der Gegend, sagte, dass sie Liane Schöttl bestimmt auch im Telefonbuch finde, der Beamte brauche also kein Aufhebens um die Adresse zu machen. Sie sei schließlich keine islamistische Terroristin, warum solle sich eine Al Kaida auch für eine Frau Schöttl aus Hundsdorf interessieren, sie wolle ihr lediglich einen Besuch abstatten, dieses Recht könne man ihr nicht absprechen, und der Beamte musterte sie, wie man maskierte Menschen in Hundsdorf mustert, und sagte, bevor er ihr die Adresse von Liane Schöttl aushändige, wolle er ihr Gesicht sehen, damit er es sich einprägen könne. Ihr Gesicht sei ihre Privatangelegenheit, sagte die Gestalt, schließlich halte sie keine Pistole in der Hand und falle damit nicht unter das Vermummungsverbot. Der Beamte schüttelte den Kopf und sagte, er könne es nicht schwören, aber er sei sich ziemlich sicher, dass in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen sehr wohl von einem Vermummungsverbot in allen Postfilialen die Rede sei. Die Gestalt schüttelte den Kopf und sagte, so einen Schwachsinn habe sie überhaupt noch nie zu hören bekommen, er solle ihr jetzt sofort die Adresse von Liane Schöttl aushändigen, sonst hetze sie ihm den Konsumentenschutz an den Hals. Der Beamte sagte, dass der Konsumentenschutz nicht für religiöse Diffamierungen zuständig sei und dass sie sich nicht zu wundern brauche, wenn man ihresgleichen behandle, wie man seinerzeit die Juden behandelt habe, wer sich so benehme und alles daran setze, ein Fremdkörper zu bleiben, der könne nicht erwarten, als vollwertiges Mitglied einer Gruppe akzeptiert zu werden. Was er da für einen Nazi-Stuss daherrede, wie er darauf komme, sie wolle irgendetwas mit seiner Gruppe zu tun haben, was das überhaupt für eine Gruppe sein solle, ob er da die Hundsdorfer im Allgemeinen oder die Hundsdorfer Postbeamten im Speziellen meine. Der Hundsdorfer sei im Übrigen bekannt für seine Stumpfsinnigkeit, sagte die Gestalt, und jeder, der sich zu lange in einer Gruppe von Hundsdorfern befinde, laufe Gefahr, von dieser Stumpfsinnigkeit angesteckt zu werden. Ah, sagte der Postbeamte, Ah und Oh und Uh-Uh, die Adresse, sagte die Gestalt, der Postbeamte verschränkte die Arme, die restlichen Hundsdorfer schlossen sich an, die Gestalt sah sich um, nahm das Telefonbuch, das in der Ecke lag, riss demonstrativ die Seite mit der Adresse von Liane Schöttl heraus und verließ die Postfiliale.
Liane saß im Wohnzimmer und sortierte Wäsche. Obwohl Hermann seit Jahren tot war, hatte sie nie aufgehört, seine Sachen zu waschen. Trotz hunderter Waschgänge war sein stechender Geruch nie ganz aus der Kleidung verschwunden. Er ließ sich einfach nicht wegwaschen. Als würden die Textilien an seiner statt verwesen. Als hätte der Schrank die Rolle des nicht vorhandenen Sarges übernommen. Das würde sie sich einbilden, hatte ihr Sohn gesagt, wahrscheinlich stecke Hermanns Geruch in ihrer Nase fest, es handle sich um eine Art psychosomatischer Trauer. Oder postmortaler Wut, hatte sie geantwortet. Übrig bleibe ausschließlich das Gefühl von Ohnmacht. Für sie habe sich nichts verändert, für sie sei er völlig umsonst gestorben, hatte sie gesagt. Die bloße Anwesenheit seines Geruchs sei fast unerträglicher, als seine körperliche Anwesenheit es je gewesen sei. Als ob er es ihr vergelten wolle, dass sie ihn damals verbrannt habe, dass sie ihm den Grabstein und den wöchentlichen Blumengang vorenthalten habe, ihm keinen natürlichen
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