Knuddelmuddel
machen, die Blues Bar kann er schon betreiben, auch mit dem Arm in der Schlinge, aber wer spielt Klavier? Und da hat sich gezeigt, dass Evelina in der Tat eins und eins zusammenzählen kann und vor allen Dingen, dass sie trotz ihres Alters schnell im Kopf ist, und sie hat zu Ricky gesagt: die Elke, die kann Klavier spielen und im Reisebüro ist sie sowieso nicht glücklich.
Also sitze ich hier in der Bar am Klavier und spiele die Melodien, die Ricky nicht spielen kann, solange sein Arm noch im Verband steckt. Und er sagt, im Grunde hätte er schon lange jemanden einstellen sollen, und nicht immer selber spielen, für einen alleine ist das viel zu viel und manchmal braucht es erst so ein Unglück, damit man sieht, dass es auch anders geht und ich kann hier weiter spielen, auch wenn sein Arm nicht mehr in der Schlinge steckt. Mit anderen Worten: Ich habe hier einen neuen Job!
Ich spiele hier Abend für Abend außer Montag, wenn die Blues Bar geschlossen hat, da habe ich frei, die Melodien, die ich liebe, ich spiele sogar den Walzer der Amélie, allerdings nur einmal am Abend, maximal zweimal, einmal früh und einmal spät, kurz bevor ich Schluss mache (um unser aller Nerven zu schonen).
Das Tolle ist: Ich muss jetzt nicht mehr in das Reisebüro. Das ist ein wunderbarer secondary gain von Rickys Unglück. Also in diesem Fall hatte er das Unglück und ich den secondary gain. Das ist natürlich noch viel besser als ein secondary gain aus einem eigenen Unglück.
Ich muss nicht mehr früh aufstehen.
Ich muss keinen glücklichen Paaren mehr Reisen in die Sonne verkaufen.
Ich darf ganz viel Klavier spielen und werde dafür sogar noch bezahlt. Und das Live-Theater des Verhaltens der menschlichen Gefühle bekomme ich noch dazu geliefert.
Erste Dates, wo sich beide aufgebretzelt haben, und völlig nervös mit ihren Cocktailgläsern spielen und die Nüsse immer wieder über den Tisch schieben. Weil sie nicht wissen, wohin mit ihren Händen. Weil die innere Anspannung ja irgendwie raus muss.
Da – das Paar da drüben zum Beispiel. Beide Mitte dreißig, ein Alter, wo es aber auch Zeit wird, dass man den Partner findet. Sie zupft die ganze Zeit an ihrem Kleid und er schiebt zum hundertsten Mal das Schälchen mit den Nüssen von rechts nach links, immer wieder über den Tisch, von rechts nach links und von links nach rechts. Er hat übrigens schöne Hände. Und ich sehe an ihrem Blick, dass ihr das auch auffällt, dass sie interessiert ist und dass sie ihm die Nervosität mit dem Schälchen nur allzu gerne verzeihen wird, weil sie als Frau Mitte dreißig weiß, dass so eine Schüchternheit und Nervosität ja eher für den Mann sprechen als gegen ihn.
Mittlere Dates, die die beiden Partner im Grunde schon nicht mehr für richtige Dates halten, man ist zusammen, man ist aneinander gewöhnt und man geht abends aus. Man sieht einigermaßen anständig aus, aber man kommt nicht direkt vom Friseur. Während man beim ersten Date ruhig mal einen Nachmittag vorm Spiegel steht, bis man die passende Kleidung gefunden hat, die Jeans auswählt, die besonders gut sitzt, die Bluse, die die Augen besonders gut zur Geltung bringt, das Outfit, in dem man sich ein bisschen wie bereit für den roten Teppich fühlt, geht man zu diesen Treffen in der Kleidung, die man schon tagsüber im Büro anhatte, ohne Umweg über zu Hause vorbei gehen und Umziehen. Und im Grunde ist das nicht mal schlecht, weil eine Art von Normalität und Alltag beginnt.
Letzte Dates, von denen die meisten allerdings nicht wissen, dass es ihr letztes Date ist, weil sich das erst im Laufe des Abends herausstellt. Der Abend fängt vielleicht sogar ganz gut an. Die beiden sitzen dicht nebeneinander. Einer erzählt etwas, der andere nickt. Und dann passiert plötzlich etwas, oft ist es eine Kleinigkeit. Meistens ein Wort. Und plötzlich gibt ein Wort das andere und einer steht auf und geht. Mit diesem Du-kannst-mich-mal-Gesichtsausdruck. Mit diesem Dann-eben-nicht im Blick. Oder mit einem scharf gesprochenen jetzt reicht´s . Manchmal versucht der Zurückbleibende noch, sich zu wehren, und sagt Sachen wie: Du kannst doch jetzt nicht so einfach gehen . Meistens nützt es nichts und der andere geht trotzdem. Manche versuchen einzulenken, wenn sie sehen, welchen Verlauf der Abend nimmt und sagen Sätze wie, du weißt doch, dass ich das nicht so gemeint habe .
Manchmal nützt es und der andere setzt sich wieder hin.
Manchmal nicht.
Ich liefere die Musik dazu. Ich bin sozusagen
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