Knuddelmuddel
ganze Weile gebraucht, um darauf zu kommen, was das Problem ist. Aber eines Abends vor dem Einschlafen fiel es mir wie Schuppen von den Augen (Fischschuppen? Haarschuppen?) oder sagen wir lieber, es war wie ein Gedankenblitz. Es hat ein bisschen was mit der Treppenhausnacht zu tun. Mit Claudio. Mit der Magie, die zwischen uns herrschte. Diese Mischung aus Wissen und Gefühl: Er ist es. (Obwohl er es ja dann doch nicht wahr. Etwas, das ich immer noch nicht wahrhaben will. Nicht wirklich).
Bei einem Brief kann man die Chemie nicht spüren, die Magie. Das fehlt einfach. Ein Brief ist ein Brief ist ein Brief. Man kann ein bisschen raten, man sieht, ob der Brief auf dem Computer getippt und ausgedruckt ist, oder mit der Hand geschrieben. Man spürt die Wortwahl, man stolpert vielleicht über einen Ausdruck. Aber man kann den anderen nicht wirklich erfühlen. Perfekt zum Erfühlen ist nämlich nur der Klassiker: der Kuss . Der richtige, der echte, der nicht-virtuelle Zungenkuss.
Das ist im Brief natürlich nicht möglich.
Es gibt eine schöne Nebenhandlung in dem Film PS ich liebe dich . Eine Hollywood-Komödie mit Hilary Swank and Gerard Butler, wo die junge Witwe von ihrem verstorbenen Mann Briefe erhält, die sie wieder zum Leben ermuntern sollen, und da ist die Schwester der Witwe, ich glaube, es ist die Schwester, die hat die Männersuche auf den Punkt gebracht. Wenn Sie einen Mann sieht, der ihr gefällt, dann fackelt sie nicht lange.
Sie fragt ihn: Sind Sie Single?
Und wenn er bejaht, fragt sie: Haben Sie Arbeit?
Und wenn er bejaht, fragt sie: Sind Sie schwul?
Und wenn er das verneint, dann küßt sie ihn. Einfach so.
Und damit weiß sie, ob die Chemie stimmt.
Das nenne ich effektive Männersuche. Ich mache das natürlich nicht so. Ich suche ja nicht mehr. Ich wollte das nur noch mal erwähnen, und erklären, warum, wenn ich denn einen suchen würde, warum dann die Briefeschreibe-Anzeigen-Methode nicht in Frage käme. Weil man die Chemie nicht anhand eines Kusses überprüfen kann. So einfach ist das. Aber glücklicherweise spielt das ja keine Rolle mehr in meinem Leben. Ich bin völlig zufrieden mit meiner Rolle als Pianistin in einer Bluesbar. Meiner Rolle als Zuschauerin des Lebens.
Und das geht auch wirklich gut so, bis da eines Abends der João in der Blues Bar auftaucht.
XII
Alleine. Ohne seine Vivian. Ich sehe ihn erst garnicht, ich schwelge im Walzer der Amélie. Ricky steht hinter der Bar und mixt Cocktails mit so abgefahrenen Namen wie Tabu Power, Waikiki Beachcomber und German Virgin. Ich wüßte garnicht, was ein Beachcomber ist, wenn Tom mir nicht von seiner Zeit an der Westküste von Vancouver Island erzählt hätte. Da hat er Fotos gemacht für eine Reportage, die ein Freund von ihm geschrieben hat, über Leute, die abgetriebene Holzstämme für Sägewerke aus dem Wasser fischen und zu den Sägewerken zurückbringen und sich so ihren Lebensunterhalt verdienen. Das sind die Beachcomber. Was Tabu Power heißen soll, kann man sich auch ohne Erklärung vorstellen. Warum ein Cocktail ausgerechnet German Virgin heißt und nicht Danish Virgin oder Macedonian Virgin, leuchtet nicht ein, finde ich, und ist irgendwie gemein.
Ricky ist heute ausgesprochen guter Laune, Bruno ist aus Murtosa zurück und sitzt an der Bar. Und ich denke mal, dass Ricky denkt, dass Bruno denkt, dass er wieder mit ihm zusammen sein will, und ich gönne es den beiden von ganzem Herzen. Und gerade, als ich das Wort Herz denke und dabei die letzten Töne des Walzers spiele, sehe ich João.
Er sitzt in einer Ecke der Bar und sieht zu mir, er sitzt auf unserem alten Platz, dort haben wir immer gesessen, auf der Bank in der Ecke. Vor ihm steht ein Bier. João ist kein Cocktailtrinker. Bier, Wein, Brandy, das sind seine Getränke.
Ich habe meine Gefühle trainiert unter Kontrolle. Aber mein Körper spielt mir einen Streich. Ich bekomme praktisch eine Gänsehaut. Warum wirkt dieser Mann auf mich so attraktiv? Er ist lässig gekleidet, Khakihose, Polohemd, neben sich die Lederjacke. Die hat er schon seit unendlichen Jahren. Und obwohl er als Archtitekt gut verdient, würde er nie daran denken, sich eine neue zu kaufen. Er hängt an seiner Lederjacke. Ach, wenn er doch auch so an mir gehangen hätte. Aber mich hat er ausgetauscht. Gegen Vivian. Die allerdings heute nicht hier zu sein scheint, denn ich kann keine Vivian entdecken.
Ich glaube, ich brauche eine Pause.
Ich nicke Ricky zu, Ricky nickt mir zu. Pause genehmigt. Ich
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