Knuddelmuddel
João.
„Wirklich?“, sage ich.
João steht ganz dicht neben mir, ich kann seinen Körper spüren, sein Rasierwasser riechen, das habe ich immer gemocht. Ich kann ihn so deutlich spüren und die ganze Erinnerung setzt wieder ein. Mein Körper erinnert sich. Es ist nicht nur die Erinnerung an den Kaffee morgens, sondern auch alles, was oft davor geschah, morgens, ehe der Kaffee ans Bett kam. Und manchmal auch danach. Ich nippe vor Verlegenheit an meinem Cocktail, aber das Glas ist leer. German Virgin. Ich sollte sehen, dass ich da wieder reingehe und mich an mein Klavier setze, ehe ich hier irgendwelche Dummheiten begehe, da hat der Ricky ganz recht.
„Du, ich muss wieder rein“, sage ich zu João und gehe durch die Hintertür in die Bar zurück und lasse den João draußen stehen. Ich setze mich ans Klavier und fange an zu spielen, und erst als ich schon spiele, merke ich, es ist Cry me a river und ich singe nicht, aber ich kenne natürlich den Text, thanks to Ella Fitzgerald & Diane Krall & Nina Simone, was habt ihr das so schön gesungen in euren Versionen der hundert existierenden Cover-Versionen, und ich wünschte, ich könnte das auch, aber meine Stimme gibt das nicht her ...
Now you say you are lonely
You cry the long night through
Well, you can cry me river, cry me a river
I cried a river over you
Als ich die Bar verlasse, steht der João vor dem Eingang. Vor einem Jahr genau an diesem Tag, am Sprich-wie-ein-Pirat-Tag waren wir in Figueira da Foz am Meer. Wir haben abends auf der Mauer an der Strandpromenade gesessen, Vinho Verde getrunken und dazu Ziegenkäse und Weintrauben gegessen, die wir morgens in der Markthalle gekauft hatten.
Wir haben nachts im Zimmer am Fenster gestanden und auf das Meer geblickt, auf die Wellen und Felsen, fest aneinander geschmiegt, wir, nicht die Wellen und die Felsen, haben den gleichmäßigen Rhythmus des Ozeans in uns aufgenommen und waren einfach glücklich.
Wir sind barfuß über den Strand gelaufen, durch den nassen Sand und haben Steine und Muscheln gesammelt, das Klischee aller Touristen, ich wette in der Pension hassen sie Steine und Muscheln wie die Pest, ganz besonders die Zimmermädchen, weil die Gäste in ihrer Euphorie immer mehr sammeln, als sie am Ende des Urlaubs mitnehmen können, und dann das meiste auf der Fensterbank liegen lassen. Wir auch. Wir haben letzten Endes nur einen Stein mitgenommen. Einen grauen halbrunden Stein, makellos glatt, der perfekte Briefbeschwerer.
„Hast du den Stein eigentlich noch?“, fragt João.
Und ich glaube, das ist der Auslöser. Als ich wieder denke, bin ich in seinen Armen, und er küsst mich. Und ja – die Chemie stimmt. Habe ich irgendwann im Laufe dieser Claudio-Geschichte mal behauptet, die Magie wäre mit João nicht dagewesen? Stimmt nicht. Sie ist da.
„Natürlich ist der Stein noch da“, sage ich.
„Glaube ich nicht“, sagt João.
„Klar ist er noch da“, sage ich. „Er liegt auf der Fensterbank. Willst du ihn sehen?“
„Jaa“, sagt João.
Wir gehen in Richtung Rua Ferreira Borges durch die nächtlichen Straßen. Es wie damals, an der Algarve, als wir uns kennenlernten. Die letzten Gäste im Pub und dann spät nach Hause. Wobei es in diesem Sinne ja kein zu Hause gab. Ich wohnte mit Bine und Andrea in einer kleinen Pension im Stadtzentrum und João war zu Besuch bei seinen Verwandten, die ein Ferienhaus in der Nähe von Tavira hatten. Er konnte mich schlecht mit zu seinen Verwandten nehmen, ich konnte ihn nicht mit in unser Dreibett-Zimmer in der Pension nehmen. Also trieben wir uns auf der Straße rum, gingen Arm in Arm durch die Nacht und erzählten uns unser Leben. In der letzten Nacht haben wir uns dann endlich ein Zimmer in einem Hotel genommen. Und vielleicht war diese Nacht auch so etwas Besonderes, weil wir so lange drauf gewartet hatten. Nicht so lange wie in Sinn und Sinnlichkeit und zu Jane Austens Zeiten natürlich, aber lange für unser Jahrhundert. Drei Wochen. Das ist lange, wenn man richtig verliebt ist.
Weißt du noch?, fragt der João. Und weißt du noch, frage ich zurück. Und so holen wir Stück für Stück unsere gemeinsamen Erinnerungen wieder hoch. Die Nacht in Tavira. Unsere Sonntagnachmittage am Strand von Caparica. Meine ersten Versuche, portugiesisch zu sprechen, wie ich in einem Restaurant nicht a conta bestelle – die Rechnung, sondern a quinta – einen Hof. Das Gesicht des Kellners. Wir hätten uns totlachen können. Wir können es jetzt
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