Koala: Roman (German Edition)
Meer, das man Tethys nennt, die ersten Dehnungsrisse bildeten. Der alte Kontinent zerbrach, eine Scholle löste sich und trennte das Tier von seiner Gattung, trug es fort, nach Norden und nach Osten, hinein in die warmen Winde, die in den folgenden Jahrmillionen feuchte Luft vom Meer her in das Land trugen. Im schweren Regen verwandelte sich das Tier, es war zu jener Zeit, als sein Rücken kürzer wurde und es den Schwanz verlor. Und noch einmal brach das Land entzwei, Antarktika fuhr in den Süden, erstarrte und wurde zu seiner eigenen Geschichte. Es wurde kühler um das Tier, trockener, die Regenwälder verschwanden und machten Akazien und Eukalypten Platz.
Und das Tier, geduldig, passte sich an, begnügte sich mit dem neuen Kraut, entsagte dem Wasser, dem Kampf und jeder Eile. Es legte sich in eine Astgabelung und ruhte, schlief jahrtausendelang.
Sieben Milliarden Tage und sieben Milliarden Nächte wechselten sich ab, einer war wie der andere. Niemand nahm Notiz. Niemand wollte etwas. Keiner begehrte seinen Tod. Es gab nichts zu verteidigen. Das Tier schmiegte sich in die Jahrtausende, schlief und äste, äste und schlief, es hielt Schritt mit dem Wachsen der Bäume – das war seine Geschwindigkeit, ohne Ehrgeiz und ohne Idee, wie es etwas zu seinen Gunsten verändern könnte. Das Tier begehrte nichts, als von seinem Ast in die Wälder zu blicken und den Geist ruhen zu lassen. In seltenen Nächten rief es in die Dunkelheit, ein zweistufiger Gesang, der mit einem Einatmen begann und einem Schnarchen ähnelte. Dann ließen die Lungen die Luft ausströmen, und ein zittriger Ruf ging langsam in ein Crescendo über, das weit hinaus über das Land trug, von wo, manchmal, aus einer entfernten Lichtung oder von jenseits des Flusses eine Antwort klang, bevor es wieder still wurde und der nächste Schlaf kam.
Bis die ersten Jäger kamen. Mit Booten, kaum mehr als grob behauene Baumstämme, waren sie auf der anderen Seite des Meeres gegen die Brandung angerannt. In den Stürmen auf der offenen See gingen Generationen verloren, verdorrten auf einem Eiland oder verendeten in einer Strömung, die sie nicht mehr entließ. Der Ehrgeiz, der den Menschen innewohnt, ließ es sie weiter versuchen, so lange, bis einer von ihnen Grund unter seinen Füßen spürte.
Es heißt, die Ersten, die dem Meer entstiegen, seien Brüder gewesen, Yahberri, Mahmoon und Birrum mit Namen. Und sie seien nicht alleine gekommen. Sie brachten ihre Großmutter mit, deren Namen keiner kennt, und sie fanden ein reiches Land, die Flüsse voll mit Fischen, der Himmel voller Vögel – nur das süße Wasser war knapp. So zogen die drei Brüder los, um eine Quelle zu finden. Die Großmutter ließen sie zurück, am Strand, wo sie angekommen waren: Das ist das Letzte, was von ihr berichtet wird.
Yahberri, Mahmoon und Birrum zogen durch das Land, aber sie fanden kein Wasser, und als sie tagelang in der Einöde herumgeirrt waren und ihr Verdursten sicher schien, stieß einer von ihnen in seiner Wut den Speer in die Erde. Und dort, wo er im Boden stecken blieb, spritzte eine Fontäne klaren Wassers aus dem Grund, sie tranken davon und holten ihre Frauen über das Meer. Die Generationen kamen, aber das Wasser blieb ihre ständige Sorge.
Und sie entdeckten das Tier in seinem Baum. Es trank nicht, ihm reichte der Tau, der morgens auf den Blättern lag. Die Kulin, wie sich diese Menschen nannten, rannten ohne Pause umher, von Wasserloch zu Wasserloch, und doch reichte es nie, immer waren sie durstig, immer drohten sie zu versalzen. Die Menschen, im Gegensatz zum Tier, waren nicht haushälterisch, ihr Tun brachte sie ins Schwitzen, sie pissten und spuckten, sie waren wie feuchte Schwämme in der Hitze des Mittags. Keinen Tag konnten sie ohne Wasser sein. Wer so unvorsichtig war, sich zu weit von der nächsten Quelle zu entfernen, dem blieb nur das Blut einer Beute, um den Durst zu stillen, wenn er nicht in einem oder zwei Tagen verdorren wollte.
Und weil sie Menschen waren, staunten sie über das Tier, das niemals trinken musste, waren neidisch und erfanden Geschichten, um ihrer Gefühle Herr zu werden.
In einer heißt es, dass die Kulin eines Tages im Wald das heilende Harz der Akazie sammelten. Das Tier sah dies und wollte auch davon haben. Wenn es Harz wolle, entgegneten die Jäger, solle es das selber sammeln. Diese Worte machten das Tier wütend, es ging und stahl ihnen die Gefäße, in denen sie das Wasser aufbewahrten, und trug sie zuoberst in seinen Baum.
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