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Koala: Roman (German Edition)

Koala: Roman (German Edition)

Titel: Koala: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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die Riffelbänke und die Wasserröste, die Spinnräder und die Haspeln, die Zettelrahmen und die Webstühle, die Schuster und ihre Pechdrähte ebenso wie die Störenmetzger mitsamt ihren Schragen, der Bütti, den Beilen und den Sägen. Die ganze Welt veränderte sich, aber es schien, als würden die Möglichkeiten, hier ein Leben zu führen, immer kleiner. Und er würde wohl das tun müssen, was der Großvater ein Leben lang zu verhindern versucht hatte und was ihn wütend machte und ihn seine Frau schlagen ließ, wenn sie vorzuschlagen wagte: eine Arbeit in den Werkstätten der Armee anzunehmen. Vielleicht sollte er irgendeinen Beruf lernen, der dem Land dienen würde bei der Abwehr der roten Gefahr. So wie sein Vater, ein Chemiker, der in einem geheimen Labor arbeitete, in einer Anlage, versteckt in den Bergen. Er war einmal dort gewesen, am mit Stacheldraht bewehrten Zaun hatte er gestanden, hatte gesehen, wie jeder, der Zutritt verlangte, sich bei den Wächtern ausweisen musste, bevor der Schlagbaum sich hob.
    Es herrschte nämlich Krieg.
    Und schuld daran waren die Kommunisten.
    Sie entführten Flugzeuge, sperrten Wirtschaftsführer in Kofferräume, hängten ihnen Schilder vor die Brust, erschossen sie wie Hunde.
    Es hieß, es sei ein kalter Krieg, aber hier, in seiner Stadt, war er mehr als das. Er war spürbar, sichtbar.
    Die Panzer fuhren in langen Kolonnen durch die Stadt. Vom Übungsplatz drang der Lärm der Maschinengewehre und der Haubitzen. Abends waren die Kneipen voll mit Soldaten.
    Man musste wehrhaft bleiben, das sagten alle.
    Damit die Russen den roten Knopf nicht drückten, der sie alle vernichten würde.
    Der nächste Krieg würde der letzte sein, so viel war klar. Den Menschen war nicht zu trauen, wer an das Gute glaubte, war dumm. Jeder wollte etwas, und jeder wollte es lieber heute als morgen. Es ging ihm plötzlich auf, dass darin der Grund für das Elend liegen könnte: im Ehrgeiz der Menschen. In der Schule hatte man ihm gesagt, dies sei die Kardinaltugend, wenn er etwas erreichen wolle im Leben, dann werde er sich anstrengen müssen. Aber hieß das nicht auch, in einen Wettstreit zu treten mit jenen, die nach demselben begehrten, hieß das nicht, einen Kampf aufzunehmen? Nur wer kämpfte, konnte gewinnen, aber einen Verlierer würde es unweigerlich auch geben. Und er wusste, welche Gefühle eine Niederlage bei ihm auslösten, Hass und Rachsucht. Mit jedem Sieg schaffte man sich einen Feind.
    Sein Totem aber existierte, ohne nach etwas zu streben. Es bewegte sich nicht einmal, lag den ganzen Tag nur herum und tat keinem etwas zu Leide. Unglücklich schien es deswegen nicht zu sein. Und ganz gewiss war es nicht unbeliebt. Jeder mochte sein Totem, es hatte keine Feinde, es gab schwerlich eine Kreatur, die größere Sympathien genoss. Wenn er es so halten würde, wenn er jedem Streit ausweichen würde, jeder Ambition entsagen, wenn er sich mit einem Baum begnügen würde, fressen würde, was ihm vor die Nase zu hängen kam, wenn er nur das nahm, was ihm zufiel – wen könnte er gegen sich aufbringen? Niemand würde böse auf ihn sein, niemand würde ihm nachstellen oder neidisch sein, niemand würde ihm etwas missgönnen, denn er hatte niemandem etwas weggenommen und lag mit niemandem im Wettstreit. Eine Gefahr für niemanden, würde er ein Leben für sich selbst führen, und vielleicht wäre er einsamer als andere, vielleicht würde er weniger von der Welt sehen, sich begnügen müssen. Aber dafür hatte er seine Ruhe und seinen Frieden. Und er sah nicht, was mehr von einem Leben zu verlangen war. Das Totem würde ihm zeigen, wie ein einfaches, stilles und friedliches Leben zu führen war, hier, in seiner Stadt, in der er bleiben würde, sein Leben lang, und wo er sterben würde, in einer fernen Dezembernacht, dieser kleine Scheißer, der er war, dieser kleine Scheißer in einem kleinen Scheißkaff, dieser Mensch mit einem guten Vorsatz, ein Mensch, der nicht alles bedacht hatte, er, mein Bruder.
    Und das sind die Namen des Tieres: Callewine, Koolewong, Kobarcola, Colah, Koolah, Karbon, Cool, Burror, Bangaroo, Pucawan, Goridun, Boorabee, Koala.
    Die längste Zeit hatte das Tier ohne Namen existiert, zwanzig Millionen Jahre wurde es von niemandem gerufen, und doch streifte es schon durch die Steppen, ein Wesen von unbekannter Gestalt, von dem sich nichts als eine Zahnreihe erhalten hat. Es war schon da, als sich die Kontinentalplatten zerrieben, sich Bruchrinnen und hoch im Norden, am großen

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