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Koala: Roman (German Edition)

Koala: Roman (German Edition)

Titel: Koala: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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sich in die Dämmerung, entschwand zwischen den Spaziergängern, die sich am linden Frühlingsabend erfreuten.
    Der Vortrag fand statt, ich ließ das Bild eines Mannes auferstehen, dem, wie er formuliert hatte, auf Erden nicht zu helfen war, ein ehemaliger Soldat, der irrlichternd durch Europa gereist und für einige Monate auch in dieser Stadt gestrandet war, auf einer Insel in der Aare, am Rande eines Bürgerkrieges, um sich in eine einfache, bescheidene Existenz als Bauer zu schicken, eine Halluzination, der er wohl nur deshalb gefolgt war, um daran zu scheitern. Ob es die Anrufung dieser Existenz war, der Gewalt, die er gesehen und verursacht hatte, als Kindersoldat bei der Belagerung von Mainz etwa, ein unbeschreibliches Gemetzel, wie alle versichern, die dabei gewesen sind, alle, mit Ausnahme jenes Dichters, der an jene Kanonade nur die süßesten Erinnerungen aufbrachte, nicht an die siebentausend Leichen dachte, die verstreut um die Stadt lagen, sondern an die ersten Aufwallungen des Gefühls, was immer er damit gemeint haben könnte, ob es an meinem Unbehagen lag, einen Doppelselbstmord zu feiern oder, besser gesagt, einen Mord und einen Selbstmord, oder einfach an jenem blauen Frühlingsabend, der mich aufkratzte, kann ich nicht sagen. Sicher ist nur, dass ich es nach dem Ende des Vortrags eilig hatte, in das nächste Gasthaus zu kommen. Zwei alte Freunde aus meiner Schulzeit begleiteten mich. Die Wirtschaft lag nur einige Schritte vom Rathaus entfernt, auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes, und ich weiß nicht, ob eine Bedeutung darin zu finden ist, dass sie den Namen ›Zu Metzgern‹ trug und an ihrer Fassade ein goldener Löwe angebracht war, ein Löwe, der ein mächtiges Schlachterbeil präsentierte, jedenfalls stürzte ich unverzüglich zwei, drei Gläser Bier hinunter, jeweils begleitet von einem klaren Schnaps. Die Gasthäuser, wie erwähnt, schließen in jener Stadt zeitig, und so wechselten wir nach der Polizeistunde bereits etwas angetrunken ein paar Häuser weiter, in ein schummriges Lokal, das über eine schmale Treppe zu erreichen war und wo wir die einzigen Gäste waren, mit Ausnahme von zwei attraktiven Damen, Königinnen der Nacht, die an der Bar saßen. Eine davon war eine asiatische Schönheit namens Daisy, mit der ich in den folgenden Stunden die Bekanntschaft machte, mit jedem Glas mehr erheitert über ihre lückenhaften Sprachkenntnisse, die Anlass zu reizenden Missverständnissen wurden. Sie fand es aufregend, einen Schriftsteller zu unterhalten, und ich war erstaunt, wie aufmerksam sie meinen Ausführungen folgte, ein aufrichtiges Interesse für meine nicht leicht verständlichen Interpretationen gewisser dunkler Stellen im Werk jenes Dichters aufbrachte. Als erster Mensch schien sie ein Verständnis für jenes ungeheuerliche Komma aufzubringen, das in einer seiner Erzählungen einen ganz gewöhnlichen Satz während einer Versöhnungsszene zwischen Vater und Tochter in die Beschreibung der masturbierenden Mutter verwandelt, die diesem Moment von den beiden unbemerkt beiwohnt. Jedenfalls klebte Daisy an meinen Lippen und amüsierte sich über mein Interesse für onanierende Mütter, und als ich um vier Uhr morgens in der menschenleeren Gasse stand, trauerte ich weniger dem in ein paar Stunden verprassten Vortragshonorar nach, sondern vielmehr jener Daisy, die sich, als die letzte Runde angekündigt wurde, rasch in den Feierabend verabschiedet und mich mit meinen literarischen Erörterungen und der offenen Rechnung zurückgelassen hatte.
    Da meine Verbindungen zu dieser Stadt nur noch lose waren, hatte man ein Zimmer gebucht, in einem Hotel in der Nähe des Bahnhofs, wohin ich nun geschwankt sein muss. Vielleicht karrte mich auch ein Taxi die paar hundert Meter, ich kann es nicht sagen. Bloß an den Nachtportier erinnere ich mich, oder vielmehr an meine Scham, als er den Meldezettel auf die Theke legte und ich es beim besten Willen nicht zustande brachte, den Stift richtig in die Hand zu nehmen, geschweige denn meine Unterschrift auf das Papier zu setzen. Der Mann hatte bald ein Einsehen und meinte, ich könne dies am nächsten Morgen nachholen, wenn ich ausgeschlafen sei, und so werde ich mich auf das Zimmer begeben und auf das Bett geschmissen haben. Dort fand ich mich ein paar Stunden später angezogen und mit den Schuhen an den Füßen wieder; die Sonne, die zu hell auf meinen Kopf schien, und ein Blick auf die Uhr mahnten mich zur Eile. Nach einer kalten Dusche und einem

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