Kobra
muss.
Ich prüfe das Gewicht der Thermosflasche. Sie ist nicht gerade leicht, obwohl bereits leer. Und ihr ganzer Inhalt – ein Becher Kaffee? In unserem Beruf heißen solche unterhaltsamen Dinge Container und können alles enthalten – von Trotyl und Kampfgasen bis hin zu geheimen Mikroaufnahmen und geschmuggelten Diamanten. Jetzt erklärt sich das Geheimschloss.
Ich verspüre nicht das geringste Verlangen, diesen Container auseinanderzunehmen, und vermute, dass niemand von den Anwesenden vor Begierde brennt, dies zu tun. Umso mehr, als das hier nicht der Ort für solche Experimente ist. Da gibt es besondere Räume mit soliden Mauern und besondere Leute mit soliden Kenntnissen in den Feinheiten des Pionierhandwerks.
Ich sehe auf die Uhr. Gleich halb fünf. Bis halb sieben habe ich noch zwei Stunden Zeit. Dann muss ich beim Innenminister sein, und vieles hat sich angesammelt, das erledigt werden muss, vorrangig zwei Dinge: Einen Brief zusammensetzen und einen Container auseinandernehmen. Fügt man zu diesen Lappalien den schwierigen argentinischen Charakter von Maria und die vermutlich nicht gerade leichte Analyse des Kaffees hinzu, so wird offenkundig, dass ich nicht länger hier bleiben darf. Ich tüte Brief und Thermosflasche ein, mache mich vom Acker.
Im Korridor grüßt mich unauffällig unser Mann vom Dienst. Ich gehe am Office vorbei, schaue mir die Vitrine an und setze meinen Weg fort. In meinem Kopf taucht ein Gedanke auf, der es Wert ist, zergliedert zu werden. In diesen Korridor sind in dieser Nacht alle hineingegangen, niemand ist herausgekommen. Und einer ist gestorben.
4.Kapitel
Ich berichte knapp, ohne Abschweifungen – die mag der Innenminister am allerwenigsten. Er sitzt hinter seinem Schreibtisch und hört zu, ohne mich zu unterbrechen, als ich ihm meine Version unterbreite. Vor ihm steht, schon ziemlich kalt geworden, eine Tasse Kaffee. Genauso eine Tasse steht auch vor mir, das ist durchaus nicht selbstverständlich bei der Aufklärung des Falles, aber halb sieben ist auch keine normale Zeit.
Ich hatte nicht gedacht, dass ich pünktlich hier sein kann, denn sowohl Maria als auch der Beamte, der zuerst das Briefpuzzle lösen musste, ließen auf sich warten. Im Labor aber empfing mich der Techniker schon. Triefäugig machte er sich an die Arbeit mit der Thermosflasche. Schließlich hatte ich die Ergebnisse und raste mit heraushängender Zunge ins Ministerium. Der Kaffee tut jetzt wirklich gut!
„Der Brief“, fahre ich fort, „ist sofort von unserer Mitarbeiterin, Maria Bellier, übersetzt worden. Hier sein Inhalt, bitte sehr!“
Ich reiche dem Innenminister ein vollgeschriebenes Blatt. Er nimmt es, schiebt den Kaffee zur Seite und liest. Ich benutze die Pause, um mich mit meiner Tasse zu beschäftigen, dann sage ich: „Wenn Sie gestatten, Herr Minister ... hier sind ein paar recht merkwürdige Sätze, die mich auf den Gedanken gebracht haben, dass es Raphael Delacroix schon längere Zeit nicht gut ging ...“
„Ja“, entgegnet der Minister. Ich kann nicht erkennen, ob es Zustimmung ist oder nicht, dann liest er laut vor:
„... Dein letzter Brief, lieber Onkel, hat mich verwundert und beunruhigt. Du solltest die schlechten Gedanken vertreiben und endlich versuchen ...“ Er wirft mir einen Blick zu, „hier geht es mit Andeutungen weiter ...“
„... von Deinen schlechten Gewohnheiten zu lassen“, vollende ich. „Vielleicht hat der Neffe als Arzt und naher Verwandter gewusst, dass sein Onkel Morphinist war. Kann aber auch sein, dieser Satz soll etwas anderes bedeuten – den Schmuggel, mit dem sich Delacroix befasst hat. Falls man Drogenschmuggel als Gewohnheit bezeichnen kann!“
„Im Container waren Drogen, nicht wahr? Steht das fest?“, fragt der Minister und blickt einen Moment vom Brief auf.
„Ja, sicher. Natürlich sind das vorläufige Ergebnisse aus dem Labor, eine exakte Analyse ist recht schwierig.“
Der Minister vertieft sich wieder in den Brief. Dann unterstreicht er mit dem Finger einen Satz: „Und wie deuten Sie das, Dr. Bouché? In dem Sinn, dass der Tote keine weiteren Vertrauten und Verwandten hat, ja?“
Ich bestätige es. Das ist die Schlussfolgerung aus dem Brief, recht nebelhaft und weit hergeholt übrigens. Er verrät Sorge und Zuneigung, enthält aber auch eine Anspielung, die mir völlig unklar bleibt. Aus allem geht hervor, dass Raphael Delacroix keine nahen Verwandten hat, wenn man von dem Neffen Antonio
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