Kobra
will etwas sagen, kann aber nicht. An seinem Hals treten vor Wut und Hass zwei blaue Adern hervor.
„Ihr Chef“, wiederhole ich und füge hinzu: „Die Kobra. Oder Antonio Delacroix, was dasselbe ist.“
Dann stütze ich mit einer Hand Neumann, der schwankt und sich aufs Bett setzt.
„Es ist vorbei“, sage ich. „Der Wagen steht unten, halt noch ein bisschen durch, alles ist in Ordnung.“
Und ich schaue ihm in die Augen.
Die Augen von diesem Neumann sind nicht schlangenhaft blau, sondern dunkelbraun und klug.
18. Kapitel
Ich habe die Gewohnheit, Protokolle sofort zu schreiben. Sonst vergisst man manche Einzelheiten, die auf den ersten Blick nicht so wichtig sind, aber allem Geschehen ihren Stempel aufdrücken. So zum Beispiel jene Kleinigkeit, von der ich glaubte, ich hätte sie bei der ersten Besichtigung von Raphael Delacroix’s Zimmer übersehen und die immerzu in den Tiefen meines Bewusstseins gesessen hat.
Also setze ich mich an die mühseligste Arbeit eines Inspecteurs und tippe los. Zwischendurch ruft Louise an und fragt, ob ich jemals wieder die eheliche Wohnung betreten werde. Andernfalls ziehe sie in Erwägung, demnächst ein kleines Appartement an der rive gauche zu beziehen. „Wozu eine große Wohnung halten? Du richtest dich im Büro ein, mehr brauchst du ja nicht, Monsieur.“ Damit knallt sie den Hörer auf. Morgen, wenn mein Bericht fertig ist, werde ich sie mit einem Strauß Rosen versöhnen. Das klappte immer. Bisher.
Nun sind wir allein; meine Tastatur und ich.
Ich schreibe weiter: Auf dem Nachtischschränkchen lagen die Spritze mit der Nadel und leere Ampullen mit abgesägten Hälsen. Abgesägt! Doch nirgendwo – im ganzen Zimmer nicht und nicht in Raphael Delacroix’s Gepäck – fand ich eine Ampullensäge. Ich habe sie die ganze Zeit über gesucht und nicht gefunden, dabei hätte sie der einfachen Logik nach auf dem Nachtschränkchen liegen müssen. Freilich hätte sie Delacroix auch aus dem Fenster werfen können, aber so etwas macht kein Morphinist, und warum sollte er auch. Wahrscheinlicher war das anders: Dass man die Ampullen draußen abgesägt hat, und die Spritze außerhalb des Zimmers aufzog. Derjenige hat aber etwas versäumt: Er vergaß die Säge zu hinterlassen. Und danach war es zu spät gewesen, noch einmal zurückzukommen.
Dies war das erste Signal, der erste Faden, von dem aus sich im weiteren Verlauf das Knäuel zu entwirren begann. Und alles erwies sich als reichlich verworren.
Eigentlich hätte das Protokoll mit ein paar allgemeinen Ausführungen beginnen müssen. Damit, dass durch Paris einer der großen Kanäle des Drogenschmuggels vom Nahen und Mittleren Osten führt. Daher kommen heimlich Lasten – in Kamelkarawanen, auf Lastern, in Schmugglerverstecken in Eisenbahnwaggons, in den Luxus-Luftkreuzern der internationalen Fluggesellschaften.
Diese Lasten werden von illegalen oder halbillegalen Labors im Nahen Osten übernommen. Die produzieren das Morphin und die Drogen. Hier beginnt die zweite Reise – über Beirut, Damaskus, Istanbul oder andere Städte nach Paris und oder Athen und von dort nach Wien, Stockholm, Amsterdam und London. Ein Weg führt nach Rotterdam und überquert den Atlantik.
Im Drogengeschäft gibt es keine Dilettanten, alles ist organisiert, einer strengen Hierarchie untergeordnet. Jeder kennt seinen Anteil am Risiko und seinen Anteil am Gewinn. Es gibt zwei oder drei Mafias, die sich mit dem Drogentransport und der Belieferung der großen Zentren befassen. Es sind mächtige Organisationen, die sogar ihre eigene Flotte und Flugzeuge besitzen. Ihre Kuriere reisen mit Bedeckung, und weder die Kuriere noch deren Beschützer unterscheiden sich von den übrigen gut gekleideten und ruhigen Reisenden, die in Flugzeugen oder Bahnen frühstücken, Zeitungen in allen Weltsprachen lesen oder still in ihren Sessel dösen. Heutzutage laufen Schmuggler nicht mit Masken herum, und ihr Handwerk ist keineswegs romantisch.
Jeder Kurier hat seinen genauen Fahrplan und darf kein Jota von ihm abweichen. Zu früh kommen ist nicht gestattet, Verspätungen werden bestraft. Ankunft und Abfahrt sind auf die Minute festgelegt.
In wichtigen Stationen haben die Mafias ihre Residenten, die die Kuriere kontrollieren. Und notfalls Entscheidungen treffen. Alles ist vorgesehen. Selbst ein Fehlschlag. Die Unkosten durch die Beschlagnahme tragen die Mafias, der gefasste Kurier wird von den geheimen Räten abgeurteilt. Da gibt es keine
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