Kobra
Gnade. Wenn die Panne vom Kurier verschuldet wurde, gibt es nur ein Urteil, und das wird unwiderruflich vollstreckt. Wenn er bloß Pech gehabt hat und sich vor Gericht „gut“ gehalten hat, wird er nach dem Gefängnis irgendwohin zur Erholung geschickt. Aber meistens gelangt er nicht an den Erholungsort. Ein Unfall stößt ihm zu.
Dieses System würde tadellos funktionieren, wenn mit der Mafia nicht eine ganze Armee von Leuten Krieg führte, unter denen es ebenfalls keinen Dilettanten gibt. Man kann nun nicht sagen, dass in dieser Armee alles uneigennützig ist und ihre Bataillone und Regimenter nicht zwei und drei Herren dienen, aber das ist eine Frage für sich, und die betrifft uns nicht. So, wie die Mafias ausgerüstet sind, sind es auch ihre Gegner – mit der modernsten Technik, angefangen von Wanzen und Fernsehkameras bis hin zu ... das muss man übrigens nicht unbedingt wissen.
Und noch ein Umstand spielt in diesen Kampf eine große Rolle: die Konkurrenz unter den Mafias. Die Unterwelt hat ebenfalls ihre Gebiete und Territorien, und da gibt es keinen Waffenstillstand. Die Mafias unterhalten Spionage und Gegenspionage, Kampfgruppen und Henker. Der entdeckte Gegner wird nach allen Regeln vernichtet. Die Leichenhallen auf der ganzen Welt werden regelmäßig mit namhaften und namenlosen Leichen Erschossener, Vergifteter, Erhängter, Überfahrener und so weiter versorgt.
Raphael Delacroix war in Wahrheit ein Kurier, der im Auftrag seines Chefs verschiedene Drogen auf verschiedenen Routen transportierte. Die Hauptroute Beirut-Paris-Wien befuhr er alle drei Monate als harmloser Vertreter einer Handelsfirma. Die Firma Lombardia gibt es übrigens, und sie hat nicht die leiseste Ahnung von der doppelten Tätigkeit ihres kaufmännischen Direktors der Beiruter Filiale. Raphael Delacroix wurde von Fall zu Fall von verschiedenen Leuten gesichert. Ihre Liste zusammenzustellen war schwierig, doch wir kamen nach und nach auf die Namen, indem wir die Daten, die uns Alain Renoso von Sociéte Générale für Delacroix’s Reisen nannte, mit den Passagierlisten dieser Tage verglichen.
Einer der Schutzbegleiter ist Ingenieur Neumann (natürlich kein Ingenieur, sondern ein professioneller „Gunboy“).
Das kleine Abenteuer mit der leichtgläubigen Lily Alert, der er die Ehe versprochen hat, dient ihm nur als Tarnung. Neumann und Delacroix kennen sich zum Schluss nicht. Sie fliegen im selben Flugzeug, steigen im selben Hotel ab und setzen nach ein paar Tagen die Reise fort – jeder in eine andere Richtung.
Darin bestand die Tarnung – sie reisen nach verschiedenen Städten und zu verschiedenen Zeiten ab. Hier in Paris wurden die Kuriere gewechselt. Deshalb spielte sich das Drama auch gerade in Paris ab. Der Thermos-Container wurde einem anderen Kurier übergeben, und der Schutzbegleiter – in diesem Falle Neumann – setzte den Weg mit ihm fort. Während die Behörden in Beirut, Paris oder Wien den einen Kurier beobachteten und Verdachtsmomente gegen ihn sammelten, beförderte der zweite ungehindert die Ware.
Im Fall Raphael Delacroix war Astrid Nilsson der zweite Kurier. Es hätte wohl kaum jemand eine Besucherin verdächtigt, die herkam, um ihrem Urlaub hier zu verbringen und sich Kindheitserinnerungen zuzuwenden. Dass sie der zweite Kurier war, wurde mir klar, als ich herausfand, dass Neumann und Astrid Nilsson zusammen reisen würden. Auf der Reservierungsliste der Amira Air fehlten beide. Das machte mich der Fenner gegenüber misstrauisch, aber ich hatte nichts Eindeutiges gegen sie in der Hand. Ich musste abwarten – und ihr Mörder kam mir zuvor.
Astrid Nilsson kannte Delacroix nicht. Nach der Regel haben die Kuriere und Leibwächter nur eine Parole und Anweisung, sich an einem bestimmten Ort einzufinden. Die Instruktionen bekommen sie telefonisch vom Residenten. Und der Treff selbst kommt auf Anweisung des Residenten zustande, nachdem er sich überzeugt hat, dass alles ruhig ist.
Die Ermordung Delacroix kam der Übergabe der Drogen zuvor. Die Anweisung erfolgte zu spät – das ist die Frauenstimme, die Delacroix nach Mitternacht anruft.
Die Stimme von Amandine Fenner, denn sie war der Pariser Resident des Schmuggelkanals. Ich weiß nicht, wie sie angeworben wurde, das ist eine Frage, die ich zusätzlich werde klären müssen, aber ihr wurde versprochen, dass man sie nach einiger Zeit mit einem falschen Pass aus dem Lande schaffen und die Mafia ihr im Ausland eine gut bezahlte Stellung besorgen
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