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Kobra

Kobra

Titel: Kobra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Czarnowske
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– wenn ihm etwas gefällt, er es aber schlecht begründet findet.
    „Und sind wir darauf vorbereitet?“ („Bemerkenswert, ich möchte aber ausführlicher darüber nachdenken!“) 
    „Nicht ganz, Herr Minister! Ich warte noch auf ein paar Ergebnisse.“ Und ich erkläre, worauf ich warte. 
    Der Minister nickt. Natürlich, ohne das geht es nicht.
    „Und ich suche noch jemanden, Herr Minister.“ 
    Ich beschreibe die Person, die ich suche. Der Minister steht auf, es hält ihn nicht auf seinem Stuhl. Aber der Plan gefällt ihm entschieden. 
    „Warte“, sagt er. „Erzähl’s noch einmal, und dann wollen wir es eingehender durchdenken.“ 
    Also akzeptiert er es bereits. Aber wir werden taktische Varianten durchspielen.
    Das weitere Gespräch verläuft im sachlichen Geist, wenn man davon absieht, dass wir beide nervös durchs Zimmer laufen und der Minister einen Einwand nach dem anderen gegen meinen Plan vorbringt. Aber da ich ebenfalls in Eifer geraten bin und immer mehr in Eifer gerate, winkt er am Ende ab.
    „Dann mach! Sag, sie sollen die Anordnung zur Unterschrift fertigmachen. Und viel Erfolg!“ Danach gibt er mir die Hand. Ich sehe, dass er mir noch etwas sagen will. Und während wir uns die Hand drücken, murmelt er wirklich: „Vorsichtig, Dr. Bouché ... vorsichtig!“ 
    In Paris gibt es einen großartigen Ort zum Kurieren von Psychoneurosen. Das ist der Friedhofspark. Ich würde ihn guten Gewissens jedem empfehlen, der in dieser Hinsicht Beschwerden hat. Grün, Sonne, Kreuze – und die Ewigkeit. Sie ist hier überall – in dem gerade sprießenden Gras auf einem neuen Grab, im grauen, flechtenbewachsenen Stein, in der Ruhe der Menschen, die dahingegangen sind – sie waren einmal auf dieser Welt und werden es nie mehr sein. Und in diesem Grün und dieser Sonne, die immer noch so sein werden, wenn sich schon niemand mehr an uns erinnert. Da kann man seinen Gedanken nachhängen und schaut ein bisschen anders auf die eigenen Sorgen.
    Ich haste durch die Alleen und blicke auf die Tafeln an den Parzellen. Eine ganze Stadt mit Straßen und Boulevards, mit Luxusvierteln, in denen überladene Denkmäler stehen, und engen Gassen mit ärmlichen Gräbern. Ich mache mir allerlei Gedanken über die Lebenden und die Toten, aber das gehört nicht hierher.
    Jetzt muss ich wenigstens noch das Ende von Raphael Delacroix’s Beerdigung mitbekommen. Nur gut, dass Maria dort ist. Endlich finde ich die Parzelle und sehe von weitem, dass alles vorbei oder fast vorbei ist. Eine kleine Gruppe, ich erkenne unter den anderen Maria, dann den jungen Delacroix, ein paar Arbeiter, die ihre Arbeit an dem frischen Grab zu Ende führen. Und Panaridis, der seinen Advokatenaktenkoffer auch hierher mitgeschleppt hat und mit angemessenem Gesichtsausdruck ein bisschen abseits steht. 
    Ich spreche so natürlich wie möglich mein Beileid aus. Delacroix dankt. Er steckt in einem tadellosen, dunklen Anzug, einen Trauerflor am Revers. Sein Gesicht ist müde und traurig. 
    Die Arbeiter legen, wie es sich gehört, die Blumen um das Kreuz und auf das Grab und schicken sich zum Gehen an.
    „Ja, das war’s, Herr!“, sagt einer von ihnen. „Wollen mal, denn es gibt noch mehr ...“ Er dreht sich nach seinen Kollegen um, die hängen sich die Stricke über die Schultern, nehmen ihre Schaufeln auf und entfernen sich zwischen den Gräbern. 
    Wir brechen auch auf. Wir gehen zu viert – Maria in der Mitte zwischen Delacroix und Panaridis, ich am Schluss. 
    „Wissen Sie“, beginnt Delacroix, „es heißt schon zurecht: Wenn ein nahestehender Mensch stirb, stirbt auch ein Teil von uns selbst. Sie kennen meinen Onkel nicht, er war ein großartiger Mensch.“ 
    Maria antwortet etwas Passendes. Ich nutze die Gelegenheit und schweige. Über die Toten Gutes oder nichts.
    „Sie waren sein nächster Angehöriger“, sage ich nach einer Weile. Das ist keine Frage, eher eine dieser Phrasen, die ein sich hinschleppendes Gespräch in Gang halten. 
    „Ja.“ Delacroix nickt. „In gewissem Sinne ist es so.“ 
    „Warum in gewissem Sinn?“ 
    „Mein Onkel war ein Einzelgänger. So hat er sein Leben lang gelebt, so ist er auch gestorben. Ab und zu machte er einen Abstecher zu mir nach Athen, aber im Großen und Ganzen ...“ Er spricht nicht zu Ende. Wir sind fast am Ausgang. 
    „Herr Delacroix, wenn Sie irgendwelche Hilfe benötigen ...“ 
    „Ich glaube nicht.“ Er wendet sich Panaridis zu, der in respektvoller Erwartung dasteht.

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