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Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt

Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt

Titel: Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Besonderheit leben: in einem Grab von 500 Hektar Größe …«
    Den ganzen nächsten Tag bekam Eugen seinen Bruder nicht zu Gesicht. Leo war in den Lagerhäusern und verhörte die einzelnen Rechnungsführer. Es fehlten nicht nur 372 Zentner Kartoffeln, sondern auch 159 Säcke. Kleinigkeiten, die man bisher auf dem Gut ›übersehen‹ hatte. Wer war schon so gründlich wie Kochlowsky!
    Eugen hatte also freie Bahn. Mit der polnischen Haushälterin schmückte er die Wohnung mit Tannenzweigen, bunten Kugeln und bemalten Holzfiguren, schob die gefüllte Gans ins Rohr, verfeinerte das Rotkraut mit Schmalz und rieb die Kartoffeln für die Klöße. Am späten Nachmittag erkannte man die triste Wohnung nicht wieder. Überall glitzerten Kugeln und Silbersterne, es roch nach Pfeffernüssen, Bratäpfeln und natürlich Gänsebraten. Eugen gab der polnischen Wirtschafterin zum Abschied als Sonderlohn zehn Mark; sie machte einen tiefen Knicks, ergriff Eugens Hand und küßte sie.
    »Gott segne Sie, Herr«, sagte sie, schlug das Kreuz und verschwand in der Dunkelheit.
    Am Abend fuhr Leo mit dem Schlitten vor, spannte das Pferd aus und kam ins Haus. Schon im Flur schlug ihm der Duft der Gans entgegen. Er warf Pelzmantel und Pelzmütze in eine Ecke und riß die Tür auf. Das geschmückte Zimmer machte ihn einen Augenblick lang stumm, er fand erst die Sprache wieder, als Eugen aus der Küche kam, angetan mit einer Schürze, eine Kelle in der Hand.
    »Was soll der Quatsch?« schrie Leo sofort. »Heute ist ein Tag wie jeder andere!«
    »Die Gans ist gleich fertig!« Eugen winkte mit der Kelle. »Noch zweimal begießen, dann kommt sie auf den Tisch. Die Klöße schwimmen auch schon im Wasser! Du kannst ebenfalls etwas tun: Hole Wein!«
    »Ich habe keinen!«
    »Lüg nicht. Im linken Keller liegen zehn Flaschen Burgunder!«
    »Ich will nicht!« brüllte Kochlowsky. »Dein Getue kotzt mich an!«
    »Denk an den versprochenen Engel, Brüderchen!« Eugen hob die Kelle und lächelte verschmitzt. »Er schwebt schon hier herum … Ha! Meine Gans!«
    Er rannte zurück in die Küche. Leo zögerte, dann drehte er sich um, ging hinaus, stieg in den Keller und holte drei Flaschen Wein herauf. Wie ein trotziger Junge saß er dann mit zusammengezogenen Augenbrauen am Tisch und sah zu, wie Eugen die Gedecke auflegte, die Gläser holte und vor Freude herumtänzelte.
    »Findest du das nicht alles ziemlich idiotisch, Eugen?« knurrte Leo schließlich unmutig.
    »Eine gefüllte Gans ist nie idiotisch.« Eugen band seine Schürze ab und warf sie in eine Ecke. »Wollen wir singen, Leo?«
    »Was willst du?!«
    »Stille Nacht, heilige Nacht …«
    Kochlowsky fuhr von seinem Stuhl hoch, aber Eugen hob beide Hände.
    »Ganz ruhig, Leo!« sagte er. »Ganz ruhig. Es heißt: Stille Nacht … Als unsere Mutter noch lebte, lag in der Heiligen Nacht eine ganz seltsame Stimmung über uns allen, eine Gottesnähe, die uns demütig werden ließ. Diese Stimmung ist jetzt wieder zu uns gekommen, Leo, nach langer, langer Zeit … Es gibt wieder Demut und Dank für uns …«
    Er ging hinter einen kleinen Tisch, der mit Tannenzweigen geschmückt war, griff zur Wand, nahm das inzwischen ausgepackte Bild und stellte es vor sich auf die Zweige.
    Große blaue Augen … die Sonne auf weißblondem Haar … das Lächeln um ihre Lippen … Schönheit, die unbegreiflich wird …
    »Gott segne dich, soll ich dir sagen.« Eugens Stimme war plötzlich sehr leise und unsicher. »Siehst du, ich bin bei dir …«
    »O Gott …«, stammelte Kochlowsky. »O mein Gott! Sophie, mein Leben …«
    Er stand unbeweglich, wie versteinert, aber plötzlich fiel er in sich zusammen, ging ein paar taumelnde Schritte vorwärts, fiel vor dem Tischchen auf die Knie, drückte sein Gesicht gegen das Bild, küßte es und begann zu weinen.
    »Du bist da …«, sagte er. »Du bist wirklich da, Sophie … Sophie …«
    Er blieb auf den Knien, umfaßte mit beiden Händen das Bild, preßte es an seine Brust und sah über den Rahmen hinauf zu Eugen. Die Tränen rannen ihm über das Gesicht.
    »Sie … sie hat dich geschickt?«
    »Ja, und die Gans ist von ihr und das Rotkraut und der Stollen und die Plätzchen … Nur die Kartoffeln sind von dir.«
    Leo erhob sich von den Knien. Das Bild an sich gedrückt, ging er zum Tisch zurück.
    »Eugen …«, sagte er mit unsicherer Stimme.
    »Ja, Leo?«
    »Wehe, wenn du einem erzählst, daß ich geheult habe …«
    »Das bleibt unter Brüdern.« Eugen schluckte. »Auch ich bin

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