Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
alten Keiler hatte es Douglas schon seit Wochen abgesehen.
Am späten Abend trug der Leibjäger Wuttke ein Couplet vor, im Kostüm einer Bäuerin, das Mieder ausgestopft mit zwei dicken Kohlköpfen. Die Strünke drückten sich durch den Stoff wie riesige Brustwarzen.
Die Plesser jubelten, aber der Besitzer des Hotels ›Stadt Leipzig‹ sagte düster: »Das war das erste- und letztemal, daß dieser Kochlowsky bei mir eine Einladung gibt. So eine Sauerei hat man in der Öffentlichkeit noch nicht gesehen. Nein, so was!«
Während die Herren und Damen des ›Dramatischen Vereins‹, die im Hotel schliefen, noch weiterfeierten, fuhren Leo, Sophie, Eugen, Wanda und Jakob Reichert sowie Ewald Wuttke, noch immer im Kostüm mit den Kohlkopfbrüsten, in einem Kremser nach Hause. Leo Kochlowsky hielt die kleine Wanda dick vermummt in seinem Schoß und drückte sie an sich, um sie vor jeder Zugluft zu schützen. Langenbach war so klug gewesen, sich mit einer eigenen Kutsche abzusetzen. Louis Landauer war bei seinen ›Lebenden Bildern‹ geblieben, eine der Darstellerinnen, Frau Luise Lagwitz, hatte ihm verheißungsvoll zugeblinkert.
Spät in der Nacht saß dann Leo Kochlowsky auf der Bettkante und zog seine Lackschuhe aus. Nebenan in ihrem Bettchen schlief die kleine Wanda. Sophie lag schon unter dem Federbett, die langen goldenen Haare aufgedreht. Wie ein großes Kind sah sie aus – und war doch schon eine Mutter.
»Es war eine schöne Taufe, nicht wahr, Schatzel?« begann Kochlowsky. Er war ein wenig angetrunken, streifte die Hose herunter und rieb die Zehen aneinander.
»Ja, sehr schön, Leo. Ich danke dir«, erwiderte Sophie.
»Es war wie früher in Pleß. Nur die Bläser der Jäger fehlten. Aber sonst alle vertrauten dämlichen Gesichter.«
»Leo …« Sie lächelte zart. Kochlowsky stieg in sein langes Nachthemd und ordnete seinen Bart. »Was ist wohl in dem Kuvert der Fürstin von Schaumburg-Lippe?«
»Wir können es ja öffnen …«
»Nein, das wäre Betrug an Wanda.«
»Über Wasserdampf. Das sieht man später nicht.«
»Ich werde das Kuvert bei einem Rechtsanwalt in Verwahrung geben – damit wir nie in die Versuchung kommen.« Sie verschränkte die Arme hinterm Kopf und sah zu, wie Leo sich den Mund ausspülte und gurgelte und dabei leicht schwankte. »Bist du betrunken, Leo?«
»Ein wenig. Angeheitert …« Er kam zum Bett zurück, kroch unter das Federbett und zog Sophie an sich. Ihr schmales, schönes Körperchen lag wie schutzsuchend an seinem Leib. Kochlowsky küßte ihre Halsbeuge und war unbeschreiblich glücklich.
»Mein kleines Frauchen«, flüsterte er ihr ins Ohr, »du weißt gar nicht, wie ich dich liebe. Du ahnst nicht, was du für mich bedeutest. Du bist Himmel und Erde für mich …«
»Stammt das von Eugen, dem Dichter?« fragte sie und kicherte dabei, weil seine Hand in den Ausschnitt ihres Hemdes tastete.
»O du kleines Aas!« flüsterte Kochlowsky und drehte sich so, daß er halb über ihr lag, aber sie nicht erdrückte. Sie war ja noch so schwach von der Geburt. »Ich könnte jeden umbringen, der dich länger als drei Sekunden ansieht …«
VI
Drei Tage später kehrte wieder Ruhe ein im Haus. Die Plesser waren zurückgefahren, sogar Eugen Kochlowsky, der es ja nicht mehr nötig hatte, sich bei seinem Bruder durchzufressen. Wanda Lubkenski, verheiratete Reichert, weinte schauerlich beim Abschied auf dem Bahnsteig und flehte Leo an, Sophie gut zu behandeln und zu schonen.
»Ich brauche keine Ermahnungen, du Dienstspritze!« knurrte Kochlowsky. Hatte Wanda früher in Pleß mit einem unflätigen Satz geantwortet, so seufzte sie jetzt nur und wischte sich die Tränen aus dem dicken Gesicht. Wie sehr man Leo auf Pleß vermißte! Es war geradezu langweilig geworden. »Gute Reise! Vielleicht bis nächstes Jahr …«
»Wieso?« fragte Wuttke dumm.
»Zur nächsten Taufe.«
»Du Barbar!« Wanda stieg ins Abteil. »Man sollte dich amputieren!«
»Sophie soll es nicht so ergehen wie dir!« schrie Kochlowsky und winkte, als der Zug sich in Bewegung setzte. Jakob Reichert drohte lachend mit der Faust. »Aus dir spricht ja nur der unverhüllte Neid!«
Kochlowsky wartete, bis der Zug keuchend um eine Biegung verschwunden war, und verließ dann den Bahnhof. Der Hotelier von ›Stadt Leipzig‹ kam ihm entgegen, sah ihn und blickte, ohne zu grüßen, zur anderen Seite. Es war eine klare Demonstration von Mißachtung.
»Du Hosentrompeter!« knurrte Kochlowsky leise, kaufte sich die neueste
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