Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
Belästigungen, auch im Namen meiner Frau! Kommen Sie bloß nicht auf den Gedanken, diesen dämlichen Blumenstrauß und das Paket hier abzulegen, sonst werfe ich es Ihnen an den Kopf. Habe ich mich klar genug ausgedrückt? Oder ist Ihr Hirn so dickleibig wie Ihr Darm? – Frohe Weihnachten!«
Kochlowsky trat ins Haus zurück, warf die Tür hinter sich zu und sah zu seinem Hund hinab. »Den hättest du beißen müssen, du Mistvieh!« knurrte er. »Statt dessen stehst du da und wedelst mit dem Schwanz. Du mußt noch viel bei mir lernen, mein Junge …«
Sophie sah aus der Küche schnell ins Wohnzimmer, als Leo schon wieder auf dem Sofa saß, Wanda in Windeln und Strampelhose neben sich, den Spitz zu seinen Füßen. Er las die Weihnachtsausgabe der ›Wurzener Heimatnachrichten‹ und fand darin einen Beitrag seines Bruders Eugen mit dem Titel ›Wir sind alle Brüder und Schwestern‹. Eugen hatte, geschäftstüchtig wie er war, diesen Artikel schon bei Wandas Taufe an das Blatt verkauft.
»Wer war das?« fragte Sophie. Sie roch nach Pfefferkuchen. Keine polnische Festtagssoße ohne Pfefferkuchen.
»Wer war was?« fragte Leo zurück.
»Es hatte doch an der Tür geschellt …«
»Ach das! Das war ein Landstreicher. Ein Bettelmann. Weihnachten hoffen sie immer auf gute Gaben.«
»Hast du was gegeben?«
»Ja, drei Groschen und einen Tritt in den Arsch.«
»Leo …«
»Ich habe ihm eine Mark angeboten, wenn er Holz hackt. Was sagt der Kerl da? ›An Christi Geburt arbeite ich nie!‹ Da habe ich ihn in den Arsch getreten. Das ist doch ein besonderes Halleluja …«
Sophie schwieg und ging in die Küche zurück. Ich muß mich bei Langenbach für ihn entschuldigen, dachte sie. Natürlich hatte sie gesehen, wer gekommen war, um seine Weihnachtsgratulation abzugeben. Sie hatte es fast erwartet. Und sie hatte sich nicht gerührt, um den Weihnachtstag nicht zu einer Tragödie werden zu lassen.
Sie rührte in der Soße, probierte sie mit der Fingerspitze und gab noch etwas abgeriebene Zitronenschale hinzu. Dabei dachte sie, und ihr Herz klopfte so heftig, daß sie es am Hals zu schlagen meinte: Wie gut, daß Leo nicht weiß und nie erfahren wird, wer mir den Spitz besorgt hat. Und daß ich ihm einen Schlüssel gegeben habe, damit er den Hund hierherbringen konnte, während wir in der Kirche waren.
Gott verhüte, daß er es jemals erfährt …
Am zweiten Weihnachtsfeiertag kam Pfarrer Paulus Maltitz zu Besuch. Er brachte als Geschenk ein Gesangbuch in Dünndruckausgabe mit. Man konnte es überallhin mitnehmen, weil es in jede Tasche hineinpaßte.
Sophie bedankte sich mit Tränen in den Augen, zumal der Herr Pastor sagte: »Nur als kleine Gedächtnisstütze, liebe Frau Kochlowsky. Ich weiß ja, daß Sie die meisten Lieder auswendig können.«
Dann zogen sich Maltitz und Kochlowsky in den kleinen Raum hinter dem Wohnzimmer zurück, den man ›das Herrenzimmer‹ nannte, weil ein Schreibtisch und ein Bücherregal darin standen. Außerdem rauchte Kochlowsky hier seine Zigarren, um die Gardinen im Wohnzimmer zu schonen.
Pastor Maltitz setzte sich in einen der Sessel und wartete, bis Kochlowsky eine Flasche Rotwein entkorkt und ihm die Zigarrenschachtel hingeschoben hatte. Erst dann sagte er, ohne die Stimme zu erheben:
»Wäre ich wie Sie, Herr Kochlowsky, müßte ich ihnen den Wein jetzt ins Gesicht schütten und die Zigarren zerbröseln … Aber ich lebe nach dem Wort Jesu: Liebe Deinen Nächsten …«
»Das fängt ja gut an!« Kochlowsky setzte sich Maltitz gegenüber und steckte sich seine Zigarre an. »Die richtige Weihnachtsstimmung. Was ist Ihnen über die Leber gelaufen?«
»Sie …«
»Habe ich in der Kirche falsche Töne gesungen?«
»Sie geben ständig falsche Töne von sich.«
»Nicht jeder ist musikalisch. Wenn wir alle Opernsänger wären …«
»Sie haben öffentlich geäußert, daß ich mit meiner Haushälterin Johanna Klaffen ein Verhältnis habe«, steuerte Maltitz ohne Zögern auf sein Ziel zu.
»Es wäre ja traurig, wenn Sie es nicht hätten, Herr Pastor.«
»Herr Kochlowsky!«
»Die Klaffen ist ein gutgebautes Mädchen und sieht nicht so aus, als wenn sie einem Mann nicht auf den Hosenschlitz schielen würde …«
»Das ist empörend, Herr Kochlowsky!«
»Es ist empörend, daß Sie sich empören!« Kochlowsky beugte sich über den Rauchtisch und ballte die Fäuste. »Diese verdammte Heuchelei! Überall! Ob im Arbeiterkittel oder Talar – immer nur Heuchelei! Sie sind ein Mann wie ich
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