Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
Herr Schnupf«, sagte Kochlowsky dröhnend. »Frohe Weihnachten, Herr Schnupf!«
Plumps lächelte sanft und faltete die Hände. »Sie können mich jetzt nennen, wie Sie wollen, Herr Kochlowsky«, sagte er fast feierlich. »Sie haben mir nicht nur das Leben gerettet, sondern zehn Kindern den Vater und einer Frau den Mann zurückgegeben. Das vergesse ich Ihnen nie. Sie können alles zu mir sagen …«
»Sie sehen das falsch, lieber Plumps!« Kochlowsky setzte sich zu ihm auf die Bettkante und legte ihm die in ganz Wurzen berühmte Zigarrenschachtel auf das Federbett. »Sie interessierten mich überhaupt nicht. Was mich aufregte, war die Lahmärschigkeit der anderen. So war das!«
»Ich weiß.« Plumps lächelte nach innen. Nur nicht zugeben, daß man ein Herz hat, dachte er. Wenn es ihm Spaß macht, spielen wir also mit. Tun wir ihm den Gefallen, von allen gehaßt zu werden. Wir, die Plumps, kennen ihn jetzt anders. Und wehe jedem, der in meiner Gegenwart ein böses Wort über Leo Kochlowsky fallen läßt! »Sie mögen mich nicht.«
»So ist es.«
»Schönen Dank für die Zigarren.«
»Nur weil Weihnachten ist …« Kochlowsky blickte zur Tür. Berta Plumps stand dort, sie hatte sich die neue Strickjacke übergezogen. Sie kleidete sie sehr gut, und man sah, wie stolz sie darauf war.
»Auch nur wegen Weihnachten …«, sagte Plumps mit unsicherer Stimme.
»Ja, was sonst?« Kochlowsky fühlte sich unbehaglich. Der Dank, der ihm hier überall entgegenschlug, war nicht seine Sache. Hätte Plumps die Zigarrenkiste genommen und an die Wand geworfen, hätte man Gesprächsstoff gehabt. So stockte jetzt die Unterhaltung. »Wann können Sie wieder arbeiten?«
»Bestimmt im neuen Jahr. Gleich am 2, Januar …«
»Lassen Sie sich Zeit, Herr Schnupf!« Kochlowsky erhob sich von der Bettkante. Er fühlte sich wohler bei dem, was er jetzt sagte: »Bleiben Sie ruhig im Bett, in der Ziegelei vermißt Sie ja doch keiner …«
»Wenn Sie das sagen, Herr Kochlowsky.« Plumps schnufte wieder tief auf. »Aber zehn Kinder haben hungrige Mägen.«
»Eine späte Erkenntnis. Sie hätten sich rechtzeitig einen Knoten reinmachen sollen …«
Da war er wieder, der gehaßte Kochlowsky! Plumps grinste wissend, und Kochlowsky wandte sich ab, um zu gehen. Im Wohnzimmer saßen die zehn Kinder um den Tisch und kauten selig die Schokolade und die von Sophie gebackenen Plätzchen. Es war ein Anblick, der ihn bewog, schnell und grußlos die Wohnung zu verlassen.
Der Rückweg führte ihn an der Kirche vorbei, das heißt, sie lag etwas abseits, aber Kochlowsky nahm den Umweg auf sich. Als er vor dem Pfarrhaus hielt, schlug Johanna Klaffen wieder Alarm.
»Paulus! Er hält bei uns! Ich lasse ihn nicht rein! Nein! Ich mache nicht auf!«
Pastor Maltitz trat ans Fenster, sah Kochlowsky aus der Kutsche steigen und auf das Haus zusteuern. »Wer um diese Zeit zum Pfarrer kommt, hat ein schweres Herz, Hanna! Ich bin dazu da, ihn anzuhören. Geh und mach ihm auf.«
»Nein! Ich schließe mich in meinem Zimmer ein!«
Sie rannte davon, und einige Türen schlugen hinter ihr zu. Maltitz ging selbst zum Hauseingang und schloß ihn auf. Kochlowsky stand davor und zog höflich seine Pelzmütze.
»Darf ich eintreten, oder bekomme ich einen Tritt?«
»Sind Sie ein streunender Hund? Und selbst der bekäme hier ein Stück Brot. Kommen Sie rein, Leo … Haben Sie sich verlaufen?«
»Ich wußte gleich, daß es wieder Krach gibt!« Kochlowsky klopfte ein paar Schneeflocken von seinem Mantel und kam ins Pfarrhaus. Hier war es wohlig warm – er knöpfte den Mantel auf, aber legte ihn nicht ab. »Danke«, sagte er, als Maltitz ihn dazu aufforderte, »aber in betgeschwängerter Luft halte ich es nicht lange aus. Ich habe nur eine Bitte …«
»Sie bitten um etwas?« fragte Maltitz maliziös.
»Ja, Sie sollen lügen.«
»Was soll ich?«
»Ich komme gerade von Theodor Plumps. Wissen Sie, daß sein Buchhaltergehalt kaum ausreicht, seine zehn Kinder und die Frau zu ernähren?«
»Es ist knapp bei ihnen.« Maltitz nickte. Nicht nur bei Plumps ist das so, dachte er bitter. Bei vielen Arbeitern reicht es nicht. Da müssen die älteren Kinder in den Industriebetrieben mitarbeiten, von morgens bis abends, so, als seien sie erwachsen. Das Deutsche Reich hat sich nach 1871 zu einer Industrienation entwickelt, aber die Löhne haben nicht mitgezogen. Die Kinderarbeit in den Betrieben ist zu einem großen Problem geworden, nicht für die Fabrikanten, die auf diese Weise
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