Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
Schnäpschen, einen Doppelkorn aus der gräflichen Brennerei.
»Ich muß mich für Leo entschuldigen«, sagte Sophie. Sie saß Langenbach in einem Korbsessel gegenüber und häkelte für Wanda ein Jäckchen aus grau-rosa melierter Wolle. »Aber Sie wissen ja, wie er ist.«
»Wissen Sie das auch?« fragte Langenbach vorsichtig.
»Er ist eifersüchtig auf Sie – stellen Sie sich das vor, Leopold!«
»Zur Eifersucht sollte gerade er keinen Grund haben!«
»So ist es! Man könnte darüber lachen.«
»Das täte ich nicht, Sophie.«
»Aber es ist doch lächerlich …«
»Wir reden von zwei verschiedenen Dingen, Sophie: Sie von Ihrer Treue – und ich von Leos Gegenteil …«
Sophie legte die Häkelarbeit in den Schoß und sah Langenbach eine Weile stumm fragend an. Ihre großen blauen Augen und das schmale blasse Gesicht, eingerahmt von den flachsblonden Haaren, schienen einen Augenblick wie erstarrt. Mein Gott, sie ist ja selbst noch ein Kind, dachte Langenbach erschrocken. Darf man ihr überhaupt so etwas sagen? Welch ein Hundsfott ist doch dieser Kochlowsky, diesen Engel ins Unglück zu stürzen! Man sollte ihn fortprügeln, von Ort zu Ort hetzen und bis ans Ende der Welt jagen …
»Was sagen Sie da von Leo, Herr Langenbach?« fragte Sophie mit erstaunlich ruhiger Stimme.
»Es ist besser, Sie erfahren es von mir als von anderen hämischen Mitmenschen. Sophie, es fällt mir schwer …« Langenbach strich sich nervös übers Gesicht, dabei merkte er, wie er schwitzte und sein Gesicht bereits naß war. »Leo hat sich beim Neujahrsball unmöglich benommen …«
»Das habe ich fast erwartet.« Sie lächelte etwas traurig. »Wen hat er beleidigt? Hat er jemandem Wein übers Hemd geschüttet? Welche Frau hat er ›aufgeblasene Zicke‹ genannt?«
»Mein Gott, so etwas nehmen Sie einfach hin, als ob nichts geschehen wäre?«
»Kann ich es ändern?«
»Was ist das für ein Leben, Sophie!« Langenbach seufzte erschüttert. »Aber nichts von alledem ist geschehen.«
»Dann war Leo doch ein gesitteter Gast …«
»Einen Engel wie Sie muß man suchen! Ihr Mann hat sich schamlos benommen.«
»Leo? Unmöglich!« Sophie schüttelte den Kopf. »Man kann ihm alles zutrauen, nur keine Schamlosigkeit. Was hat er denn getan?«
»Er ist die ganz Nacht nicht eine Sekunde von der Seite dieser Blandine Rechmann gewichen.«
Von Langenbach unbemerkt, verkrampften sich Sophies Finger um die Häkelarbeit in ihrem Schoß, ihr Gesicht aber blieb in angedeutetem Lächeln erstarrt. »Und was ist daran schamlos?« fragte sie.
»Wie sie zusammen waren, wie sie lachten, sich benahmen, tanzten …«
»Es war doch ein fröhlicher Ball, denke ich … und Leo war fröhlich.«
»Wir alle empfanden ihr Benehmen als skandalös. Das war keine Fröhlichkeit mehr, das war … war … erotische Demonstration … Verzeihen Sie den Ausdruck, Sophie.«
Sie sah ihn mit ihren großen Augen ungläubig an, und wieder dachte Langenbach mit einem schmerzhaften Gefühl in der Brust: Wie unschuldig sie ist! Wie ahnungslos! Und bleibt an so einem Kerl wie Kochlowsky hängen. Hat sie denn in Pleß keiner vor ihm gewarnt? Was sind das nur für Menschen, die so eine Schande mit Ruhe betrachten können?
»Hat er sie geküßt?« fragte Sophie etwas leiser als bisher.
»Nein …«
»Ist er mit ihr eine Zeitlang verschwunden?«
»Aber nein …«
»Sie waren immer zusammen im Saal?«
»Ja.«
»Was wollen Sie dann eigentlich von Leo? Warum war es skandalös? Sind die Gedanken dieser Gesellschaft nicht viel skandalöser? Was an Ungeheuerlichkeiten dichtet man meinem Mann an? Ist er vielleicht verantwortlich für Frau Rechmanns Garderobe? Wenn sie zuviel Busen zeigt, ist es Sache ihres Mannes, sich darum zu kümmern. Haben Sie nicht auch hingeguckt, Leopold? Und die anderen Männer? Und was haben Sie dabei heimlich gedacht? Na also! Und Leo ist weniger schamlos und verlogen als Sie alle: Er gibt zu, daß ihm Frau Rechmanns schöner Busen gefällt! Stehen Sie nicht auch bewundernd vor einem Gemälde von Rubens, wo Ihnen die Brüste geradezu gewaltig entgegenquellen? Oder werfen Sie etwa vor Rubens die Arme hoch und rufen laut: Pfui! Diese Schweinerei! – Warum wollen Sie es dann bei Leo tun?«
»Sophie, ich bin entsetzt über Ihre Einstellung, wie Sie die Dinge sehen …« Langenbach wischte sich wieder über das schweißnasse Gesicht. Natürlich, wenn man alles so betrachtet, ist die Moral sehr eingeengt. Dann bleibt von ihr kaum noch etwas übrig.
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