Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
einer solch dröhnenden Stimme, die niemand überhören konnte. Nur einer grüßte zurück: Pastor Paulus Maltitz. Er kam von einem Krankenbesuch und zog sofort den Hut, als Kochlowsky seinen eleganten grauen, steifen Hut lüftete. Das war ihm auch wieder nicht recht. Diese Pfaffen, dachte er, innerlich knirschend, immer verzeihend, göttliche Gnade versprühend, lasset die Kindlein zu mir kommen … Hosiannah und Amen!
Mit einem lauten »Brrr!« hielt er den Landauer an. Auch Pastor Maltitz blieb stehen. Die Leute auf dem Trottoir bemühten sich, schnell vorbeizukommen. Die Kochlowskys waren zu allem fähig, das wußte man jetzt.
»Kann ich Sie mitnehmen, Herr Pastor?« dröhnte Leo.
»Gern.« Maltitz trat an den Wagenschlag heran. »Wohin fahren Sie?«
»Wohin Sie wollen! Endstation ist der Bahnhof.«
»Da will ich nicht hin.«
»Es gibt Umwege. Steigen Sie ein, Herr Pastor.«
Maltitz öffnete den Wagenschlag, stieg in den Landauer, setzte sich neben Eugen und reichte ihm die Hand. Kochlowsky winkte vom Bock herunter. Das wird ihm eine Menge Vorwürfe von seinen Schäfchen einbringen, dachte er bissig. Und ich weiß schon, was er antworten wird: Gott ist die Güte. Er kann verzeihen. Zum Kotzen ist das!
»Bringen Sie mich zur Chemnitzer Straße 14, mein Guter«, sagte Maltitz und streckte die Beine von sich. »Ein Schwerkranker will sich mit Gott versöhnen.«
Kochlowsky ließ die Peitsche knallen, und der Landauer setzte sich wieder in Bewegung. Pastor Maltitz wandte sich zu Eugen, der noch röter im Gesicht geworden war.
»Sie sind ein guter Deklamateur, Herr Kochlowsky«, sagte er. »Wirklich. Wie Sie die Dramatik dieser Marketenderin herausgearbeitet haben …«
»Herr Pastor«, stammelte Eugen, »ich …«
»In Berlin hätte man Ihnen zugejubelt. Aber hier ist Wurzen, und die guten Wurzener brauchen noch einige Zeit, bis die moderne Lebensart zu ihnen kommt. Sie haben durch Sie einen Windstoß davon bekommen, und nun husten sie alle. Die Provinz hinkt immer ein Jahr zurück, mindestens. Das hätten Sie einkalkulieren sollen …«
»Wer denkt denn daran?« stotterte Eugen hilflos.
»Mir hat's jedenfalls gefallen!« Pastor Maltitz lachte über Eugens ungläubiges Gesicht. »Darf man Ihre weiteren Pläne erfahren?«
»Ja. Ich werde ein Theaterstück über Luther schreiben.«
»Ausgerechnet über Luther! Warum denn das?«
»Der Mann hat ein ungeheures Leben hinter sich.«
»Das stimmt.«
»Vor allem die Sache mit der Nonne Katharina von Bora. Er heiratet sie zwar … aber vorher! Das ist ein Stoff, der mich reizt.«
»Ich wette, dieses Theaterstück wird man verbieten. Polizeilich beschlagnahmen und jede Aufführung verhindern.«
»Warum?« rief Kochlowsky auf dem Bock und wandte sich dabei um. »Hat er mit ihr im Bett gelegen oder nicht?«
»Darüber spricht man nicht …«
»Sehen Sie, das ist der große Unterschied, Herr Pastor.« Kochlowsky ließ erneut die Peitsche knallen, ohne die Pferde zu berühren. »Wir Kochlowskys sind ehrliche Menschen, wir sprechen darüber …«
Nachdem Leo Pastor Maltitz bei seinem Schwerkranken abgeliefert hatte, war es höchste Zeit, wenn sie den Zug nach Leipzig nicht verpassen wollten. Eugen küßte seinen Bruder, verschwand schnell im Abteil und war froh, Wurzen entronnen zu sein. Zwei Wurzener Bürger, die ebenfalls zustiegen, verließen sofort das Abteil, als sie Eugen dort sitzen sahen.
Leo wartete auf dem Bahnsteig, bis der Zug anfuhr, steckte sich dann eine dünne, lange Zigarre an und ging langsam zu seinem Landauer zurück. In der Bahnhofshalle stieß er auf den Bierfabrikanten Fleckmann, der einen Geschäftsfreund zum Zug begleitet hatte. Fleckmann tat so, als freue er sich riesig, Kochlowsky zu sehen, und eilte auf ihn zu.
»Vorsicht!« rief Kochlowsky laut. In der Bahnhofshalle hörte es jeder, seine Stimme hallte in dem Gewölbe. »Nicht näher, Herr Fleckmann! Ansteckungsgefahr!«
Bierbrauer Fleckmann lachte meckernd. Die noch geheimen Aufzeichnungen der entschwundenen Blandine Rechmann waren ein Zündstoff, der alle Betroffenen fest miteinander verband.
»Ich wollte Ihnen nur sagen, Herr Kochlowsky«, begann Fleckmann, »daß der verunglückte Rezitationsabend keine Auswirkungen auf Ihren Beitritt in die ›Bürgergesellschaft‹ hat. Sie und Ihre liebwerte Gattin sind uns jederzeit willkommen. Das ist auch die Meinung des Vorstands.«
»Soso …« Kochlowsky wandte sich zum Ausgang, und Fleckmann trabte nebenher. »Durch die
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