Kochwut
»Er wollte vorhin, dass ich ihm mein Auto gebe.«
»Und hast du’s ihm gegeben?«
Er nickte mit gesenktem Kopf.
»Ich wollte erst nicht. Aber er hat gesagt, ich soll dran denken, was dann passiert, wenn ich nicht mit ihm zusammenarbeite.«
»Fahndung«, sagte Angermüller nur zu seinem Kollegen.
»Marke, Typ, Farbe, Nummer?«
Jansen hatte schon einen Zettel herausgeholt, notierte, was Ernie leise vorbrachte, und gab die Daten sofort an die Zentrale durch.
»So«, meinte Angermüller zu dem Jungen, »dann kannst du jetzt ja mal schön der Reihe nach erzählen.«
»Was denn?«
Ernie sah verunsichert von einem zum anderen.
»Fangen wir doch mit dem an, was du über die Diebstähle im Fleischlager weißt.«
Der weißblonde Lehrling knetete seine Hände und atmete hörbar, dann begann er stockend.
»Der hat sich öfter mein Auto geliehen. Für Spritztouren, hat er gesagt.«
»Der Anatol?«
»Ja. Und so vor ein paar Monaten, als er’s auch wieder hatte, da bin ich nachts runter in die Küche, weil ich mir was zu trinken holen wollte, und da hab ich gemerkt, dass die Lagertür offen war. Ich hab gedacht, die hat nur jemand vergessen zuzumachen, aber dann hab ich gesehen, dass hinten die kleine Tür nach draußen, die wir sonst nie benutzen, offen stand, und dann hab ich Anatol gesehen.«
Er brach ab.
»Was hat er gemacht?«
»Er kam aus der Kühlkammer und trug ein Rinderviertel über der Schulter.«
»Was hat er gesagt, als er dich bemerkt hat?«
»Wir wären doch Freunde, und ich soll bloß die Klappe halten und ihn nicht verpfeifen, sonst würde er allen erzählen, dass ich auch mit drinstecke«, berichtete Ernie beklommen.
»Und da hast du lieber dichtgehalten?«
Angermüller sah den Jungen, der verlegen nickte, forschend an.
»Warum?«
»Er hat gesagt, in meinem Auto wären die Spuren von den Fleischtransporten ganz leicht nachzuweisen und ihm würde der Chef eh mehr glauben als mir. Und das stimmt. Ich bin dem Chef sowieso egal.«
Er machte erneut eine Pause und seufzte tief.
»Und ab da musste ich mitmachen.«
Der Junge war jetzt nur noch ein Häufchen Unglück. Mit seinen 18 Jahren war er noch ein halbes Kind und, so unsicher und schüchtern wie er war, natürlich auch ein leichtes Opfer, dachte Angermüller.
»Wie ist das denn so abgelaufen bei diesem Fleischgeschäft?«
»Der Anatol kannte da irgendwelche Leute, die haben bei ihm bestellt. Wir haben die Sachen dann hier eingeladen, immer nur so viel auf einmal, dass es nicht aufgefallen ist. Dann haben wir uns mit denen getroffen, die Ware übergeben und das Geld bekommen.«
»Hast du denn auch von dem Geld was abgekriegt?«
»Ich wollte eigentlich nix. Aber der Anatol hat immer gesagt, is ja nur Spritgeld, und das hab ich dann halt genommen.«
Hilflos blickte der Junge die Kommissare an.
»Scheiße, ich wollte das doch gar nicht! Aber der Anatol hat gesagt, wenn er auffliegt, dann fliege ich mit, und ich will doch meine Ausbildung hier fertig machen!«
»Lief das denn immer nur, wenn Produktion war? Oder wie seid ihr ins Lager gekommen?«
»Mit einem Schlüssel, den hatte er nachmachen lassen.«
»Meine Fresse!«, meinte Jansen beeindruckt. »Ganz schön viel kriminelle Energie, der junge Mann!«
Plötzlich ein Poltern. Ernie war aufgesprungen und hatte dabei seinen Stuhl umgeschmissen.
»Aber mit dem ganzen anderen Kram hab ich nix zu tun!«
Er schrie es fast.
»Bitte, Sie müssen mir glauben!«
Dann sackte er wieder auf seinen Stuhl, den Angermüller aufgehoben hatte, legte den Kopf auf seine Arme auf der Tischplatte und fing an zu heulen.
»Hey!«, Jansen rüttelte den großen Jungen an der Schulter. »Nu lass ma gut sein. Beruhig dich wieder. Versuch lieber, uns zu helfen, die Geschichte aufzuklären. Das hilft dir am besten raus aus dem ganzen Schlamassel.«
»Mein Kollege hat recht. Wenn du uns die Wahrheit gesagt hast, dann werden wir sehen, was wir für dich tun können. Aber sag mal, was hat dein Freund denn gesagt, warum er das Auto vorhin haben wollte?«
Ernie hatte sich wieder hochgerappelt und sich die Tränen aus dem Gesicht gewischt.
»Er hat nur gesagt, er müsste kurz weg«, antwortete er und fragte dann etwas unvermittelt: »Kann ich vielleicht ein Glas Wasser haben?«
Angermüller ging zur Spüle, suchte in den Schränken ein Glas. Während er Wasser hineinlaufen ließ, fiel sein Blick auf ein großes Bratenstück, bestimmt gut drei Kilogramm schwer, das offen in einem Bratentopf lag.
»Weißt
Weitere Kostenlose Bücher