Kochwut
schulfrei«, erklärte Julia geduldig. »Aber wir gehen zu einer vernünftigen Uhrzeit ins Bett, versprochen. Noch einen schönen Abend für dich!«
»Wünsch ich euch auch. Viel Spaß mit euren Freundinnen!«, sagte er noch, doch Julia hatte schon aufgelegt. Er kam sich auf einmal ziemlich alt vor.
Als er in das Sitzungszimmer zurückkehrte, war der Chef gerade bei seinem Lieblingsthema.
»Bisher habt ihr also keine Medienvertreter vor Ort gesehen? Gut. Ihr informiert mich in jedem Fall rechtzeitig, wenn wir mit der Presse sprechen müssen.«
Der Mann war ständig unterwegs zu irgendwelchen Konferenzen und Dienstbesprechungen, und der Polizeialltag seiner Mitarbeiter existierte für ihn nur theoretisch, aber sobald er die Möglichkeit hatte, sich als oberster Behördenleiter im Licht der Öffentlichkeit zu präsentieren, nahm er sie wahr. Man musste ihm allerdings zugute halten, dass er sich zwar über die Fälle seiner Beamten stets informierte, sich aber nicht auf unangenehme Weise in ihre praktische Arbeit einmischte. Nur wenn spektakuläre Taten nicht so schnell aufgeklärt wurden, wie sich die Öffentlichkeit das wünschte, dann versuchte er, Druck zu machen.
»Das schadet unserem Ruf. Wie stehen wir dann wieder da? Wir können es uns nicht erlauben, das Vertrauen der Bevölkerung zu verlieren. Wir tragen schließlich eine große Verantwortung. Ich erwarte zügige Aufklärung, meine Damen und Herren!«
Angermüller und seine Kollegen kannten die Sprüche auswendig, mit denen der leitende Kriminaldirektor seine Mannen zu motivieren versuchte. Dem Chef schien nicht klar zu sein, dass er damit eher das Gegenteil erreichte.
Langsam wurde die Runde unruhig, manch einer begann zu gähnen, was bestimmt auch an der im Raum herrschenden Temperatur und der mittlerweile schlechten Luft lag. Man kam überein, die Anzahl der Teams auf drei zu verkleinern, und verteilte die anstehenden Aufgaben.
»So, Kollegen, dann war’s das für heute. Ich würde sagen, dann treffen wir uns morgen hier um 17 Uhr wieder. Bis dahin haben wir hoffentlich den Bericht aus der Rechtsmedizin bekommen, der uns, so Gott will, ein Stück weiterbringt. Alsdann, frohes Schaffen!«, schloss Angermüller als leitender Ermittler die Sitzung. Die meisten der Kollegen gingen in ihren wohlverdienten Feierabend, nur Thomas Niemann blieb noch an seinem Computer, und auch die Kriminaltechnik hatte noch zu tun. Angermüller und Jansen machten sich auf den Weg in die Altstadt, wo Clemens von Güldenbrook im Dunkelgrünen Gang beim Engelswisch als wohnhaft gemeldet war.
Wie üblich hatte sich ein Teil der Crew von ›Voilà Lebouton!‹ nach dem Drehtag um den großen Tisch in der Küche des Kavaliershauses versammelt. Die Runde war heute nicht ganz so groß. Die Produktion hatte für die Crew einige Ferienwohnungen in Weißenhäuser Strand gemietet, die außerhalb der Saison besonders günstig waren. Die Crewmitglieder und die Kandidaten der Show, die auch dort übernachteten, hatten es vorgezogen, gleich nach Ende der Aufzeichnung aufzubrechen, da der Wetterbericht vor gefährlicher Straßenglätte in der Nacht warnte.
In der Küche war es warm und gemütlich, und es duftete intensiv nach gebratenem Fleisch und Gewürzen. Es wurde nicht wie sonst lebhaft geplaudert, sondern man sprach leise und betroffen über die entsetzlichen Vorfälle dieses Tages und rätselte über das Wer und Warum. Allgemein war man erleichtert, dass Maja Graflinger zumindest über den Berg war. Hilde kannte sie nur aus Erzählungen. Die junge Frau aus dem Nachbardorf, die hauptberuflich den Hofladen führte, hatte ihr des Öfteren geschildert, ›wat fürn ole Knieptang‹ die Graflinger ihrer Meinung nach war.
Als das Essen auf den Tisch kam, wich langsam die dunkle Stimmung. Nach einer heißen Rinderkraftbrühe servierten Anatol und Ernie ein Kassler mit Steckrüben-Linsen-Püree und kandierten Kartoffeln. Sie wären nicht die Lehrlinge Leboutons gewesen, hätten sie dieses Gericht nicht ein wenig exotisch abgewandelt. Das Fleisch war mit einer Marinade aus Honig, Senf, Ingwer und Cumin eingestrichen und das Püree mit einem Hauch Chili geschärft. Nach den ersten Gläsern Côtes du Rhône, den Lebouton aus seinem Weinkeller beisteuerte, kehrten die Lebensgeister endgültig zurück, und alle redeten durcheinander, man trank und man lachte fast wie sonst.
Hilde war erst zum zweiten Mal bei so einem Abend dabei. Genau genommen gehörte sie ja gar nicht zum Team der
Weitere Kostenlose Bücher