Kochwut
am gewohnten Platz in seinem Lehnstuhl. Immer wieder nahm er die Zeitung hoch, doch es gelang ihm offensichtlich nicht, sich auf seine Lektüre zu konzentrieren. Es ging ihm wohl wie Hilde, die mechanisch mit Töpfen und Pfannen am Herd hantierte, um die Reste des Grünkohlessens vom Vorabend aufzuwärmen.
»Ja Vadder, das hoff ich auch, dass ihm nichts passiert ist! Das kannst du mir glauben.«
Der alte Mann sah mit einem entschuldigenden Blick zu ihr hin und wurde sich wohl jetzt erst bewusst, dass Hildes Sorge wahrscheinlich noch um einiges größer war.
»Das tut mir leid, min Deern. Ich wollte dich nicht noch mehr beunruhigen. Aber …«, er unterbrach sich und sagte: »Na ja, das wird schon gut gehen.«
So richtig überzeugt klang es nicht.
»Ich weiß schon, was du sagen wolltest: Aber wo das doch gerade erst mit Christian passiert ist, macht man sich so seine Gedanken«, nickte Hilde, ließ ihre Arbeit am Herd sein und hockte sich neben seinen Lehnstuhl.
»Da hast du leider völlig recht, Vadder. Ich denke an nichts anderes. Das Schlimme ist ja, dass man nichts tun kann, dass man einfach nur warten muss. Das macht mich noch ganz rappelig!«
Hinrich strich ihr ungelenk übers Haar. Der Kater kam von seinem sonnigen Platz angepirscht und schmiegte sich an Hilde, die ihm gedankenverloren das Fell kraulte.
»Das wird bestimmt allns wedder gut«, versuchte Hinrich zu trösten, so wie er es früher getan hatte, wenn Hildes Knie aufgeschlagen waren. Es klingelte, und Hilde kam so blitzschnell auf die Füße, dass der Kater erschrocken zur Seite sprang. Vor der Tür standen die beiden Kommissare, endlich!
»Gut, dass Sie kommen! Wie wollen Sie vorgehen? Kann ich auch irgendwas tun? Haben Sie schon einen Suchtrupp mitgebracht?«
»Hallo Frau Dierksen! Klar können Sie uns helfen. Wir haben erst einmal ein paar Fragen an Sie. Dürfen wir reinkommen?«
Voller Ungeduld bat Hilde die Beamten in die Stube. Sie nahmen am großen Esstisch Platz. Auch Hinrich hielt es nicht länger in seinem Lehnstuhl aus und er kam herüber. Der Große, der Angermüller hieß, stellte eine Menge Fragen nach dem vergangenen Abend, nach Uhrzeiten, nach ungewohnten Geräuschen, nach sonstigen Auffälligkeiten. Noch einmal fragte er nach, ob sie wirklich kein Auto gehört habe, nachdem sich Pierre gegen 23 Uhr verabschiedet hatte.
»Nein, habe ich nicht. Das sagte ich doch schon. Allerdings geht mein Schlafzimmer nach hinten auf die Felder, da bekommt man nicht mit, was sich auf dem Hof tut. Glauben Sie denn, dass irgendjemand von außerhalb …? Möglich wäre das natürlich. Mein Gott, da hab ich noch gar nicht dran gedacht.«
In Hildes Fantasie liefen plötzlich die wildesten Szenarien ab. Kommissar Angermüller schien das zu bemerken und sagte beruhigend: »Es gibt ja noch eine andere Möglichkeit: dass Herr Lebouton sich hat abholen lassen. Zum Beispiel von einem Bekannten oder von einem Taxi.«
»Aber wohin sollte er denn mitten in der Nacht noch gewollt haben?«
»Zum Flugplatz vielleicht? Er hat doch eine eigene Maschine und kann selbst fliegen, soweit wir wissen. Ist Ihnen bekannt, wo er das Flugzeug zu stehen hat?«, mischte sich der andere Kommissar ein.
»Ja, aber wieso …«, Hilde verstand überhaupt nichts. »Ich glaube, die Maschine steht normalerweise auf so einem kleinen Flugplatz bei Grube. Das ist vielleicht 25 Kilometer von hier weg.«
Was sollte dieser Quatsch? Wieso sollte Pierre bei Nacht und Nebel Güldenbrook verlassen, um mit seinem Flugzeug irgendwohin zu fliegen? Ihr fiel auf, dass die Polizisten sie nicht aus den Augen ließen. Die schienen irgendeine Vermutung zu haben, was mit Pierre geschehen sein könnte. Plötzlich dämmerte ihr, worauf die Fragen hinausliefen.
»Sie glauben, dass Pierre weg ist? Sozusagen heimlich abgehauen? Aber warum um alles in der Welt sollte er das tun?«
Die Beamten zögerten einen Moment.
»Vielleicht, weil er etwas zu tun hat mit dem Tod von Christian von Güldenbrook?«, schlug Angermüllers Kollege vor.
Sie schüttelte fassungslos den Kopf. Auch Hinrich, der bisher nur ruhig dem Gespräch gefolgt war, machte eine unwillige Geste.
»Dieser Gedanke ist doch völlig absurd.«
In Hildes Stimme schwang Entrüstung.
»Das finden wir nicht«, sagte der jüngere Kommissar. »Uns wurde von mehreren Zeugen über hitzige Auseinandersetzungen zwischen den beiden in letzter Zeit berichtet. Angeblich wegen finanzieller Probleme der Lebouton-Unternehmungen.«
Ȇber die
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