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Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft
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hatte das schon fest eingeplant gehabt, zweifellos, für Touristen war es eine der allerersten Attraktionen; aber man kam auch ganz zwangsläufig daran vorbei, wenn man durch die Innenstadt schlenderte, und so stand Lothar Sahm schließlich, am späten Vormittag war es, vor dem Eingang zu „Underground Seattle“, der geheimnisvollen unterirdischen Altstadt. Was er darüber wusste, hatte er von Sarah gehört, sie war hier Touristenführerin gewesen. Er ertrug es nicht, eine Führung durch die Gewölbe mitzumachen, die Geschichten fast im Wortlaut noch einmal zu hören, und dabei die Hand einer andere Frau zu halten, einer anderen als Sarah.
    Kaum unter der Erde tat er so, als müsse er sich die Nase putzen, und setzte den Weg mit beiden Händen in den Taschen fort. Er blieb freundlich, aber vermied jede Berührung. Ellen blieb freundlich, aber hörte irgendwann auf, Berührungen zu suchen. Er spürte ihre Enttäuschung; darüber hinaus ließ er nichts an sich heran. Sie waren Reisepartner, verdammt und zugenäht, sie selbst hatte sich vorher ausdrücklich alles Weitere verbeten. Öffentliche Zärtlichkeiten passten nicht zu der Beziehung, die sich in den letzten vier Wochen ergeben hatte, es wirkte ihm so erzwungen und nachträglich eingefügt, dieses Händchenhalten – auch wenn er niemanden gekannt hätte in dieser Stadt, den er gerne getroffen haben würde oder der zufällig des Weges kommen konnte, er hätte sich dagegen gewehrt.

Kapitel 7: Auftrag aus Berlin
     
    Nur eine Stunde hätte ich durchhalten müssen, sagte er sich später im Flugzeug, nur eine Stunde noch mitspielen, und ich hätte sie nicht verletzt und das Einvernehmen zwischen uns zerstört. Jetzt, da es nicht mehr gutzumachen schien, da sie wie eine Fremde neben ihm saß und so tat, als schlafe sie – hätte sie wirklich geschlafen, sie würde geschnarcht haben –, jetzt, da ihm klar wurde, wie abwegig von vornherein seine Pläne waren, sich mit Sarah zu verabreden, trauerte er um Ellens Zuneigung wie um eine leichtfertig verspielte Kostbarkeit. Die Partnerschaft mit ihr hätte er gern über die Rückkehr hinweg in den Alltag gerettet.
    Es zeigte sich indes, dass er dramatisch unterschätzte, was es hieß, nach einer solchen Reise sich dem Alltag wieder einzufügen, der ihn davor durchs Leben gelenkt hatte. Es ergaben sich Reibungen. Das bis vor vier Wochen gewohnte Korsett an Pflichten und freiwilligen Verrichtungen zwickte und spannte beim Wiederhineinzwängen, fast ekelte es ihn ein wenig. In seinem Haus roch es seltsam, ein Hauch von nassem, verrottendem Gras. Er konnte es sich kaum vorstellen, als er die Tür aufstieß und sein Gepäck ins Haus wuchtete, dass er nun seine Sachen auspacken, aber am nächsten Tag nicht wieder einpacken würde.
    Sich auf nur eine Nacht einzurichten, das war seine Routine geworden: kein Bettenmachen am Morgen, kein Kaffeekochen, nicht auf Vorrat einkaufen, keinen Kühlschrank füllen, nicht putzen und Rasen mähen müssen, nicht den Müll ausleeren; sich nicht regelmäßig rasieren müssen; nicht morgens spätestens um halb zehn in der Redaktion antreten müssen. Herrje, was für ein Leben erwartete ihn da nun? Wieder Mittagspause von zwölf bis zwei, Feierabend um 19 Uhr, danach daheim sitzen. Anordnungen entgegennehmen und ausführen müssen. An einem Ort bleiben müssen, wochen- und monatelang an einem einzigen Ort namens Wallfeld.
    Er besann sich darauf, warum er die Reise überhaupt gemacht hatte: für seine Geschichte. Nun endlich hatte er hinreichend Anschauungsmaterial über einen Teil des Kontinents, auf dem er seine Figuren ansiedeln wollte. Jetzt würde er nicht mehr, wie vor der Reise, brütend in seinem Arbeitszimmer sitzen und aus dem Fenster auf die Bäume starren; er würde ab sofort tief versinken in und verschmelzen mit seinem Stoff, sich selbst verlieren dabei und sich in der Geschichte wiederfinden. Dieses Glück hatte er doch gesucht! Die Reise war nur Mittel zum Zweck gewesen. Um so besser, dass er sie nicht nur absolviert, sondern auch genossen hatte; jetzt ging es an die Auswertung! Gleich morgen Früh!
    Er ließ seine Taschen fallen und nahm sein Haus neu in Besitz. Der fremde Geruch, schon nach Minuten nahm seine Nase ihn nicht mehr wahr, er wurde zu einem Teil seines Eigengeruches und ging auf in den Ausdünstungen, die er von jetzt an wieder hier verströmen würde. Würde dabei das Gemisch herauskommen, das zuvor in diesem Haus in der Luft gehangen hatte?
    Auf dem Wohnzimmertisch

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