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Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft
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nicht mehr gelesen hatte, kaum mehr wusste, was drinstand, allenfalls ahnte, dass manches wohl recht pathetisch geraten war unter dem frischen Eindruck der Erlebnisse. Auch wenn es Ellen noch so eilig hatte, er wollte das Zeug wenigstens noch einmal durchgehen, bevor er es fremden Menschen zu lesen gab. Er öffnete die Datei über den Gletscherbesuch, überflog den Text und blieb am letzten Absatz hängen:
    Nicht weit hinter der Premier Mine wird der Blick frei auf den Salmon Glacier. Wirkt dieser entfernte Ausläufer des zentralen Eisfeldes schon wie ein breiter Strom, die blaugrau gewundene Fläche verbreitert sich, je weiter man der Piste folgt, zu einem wahren Meer gezackter Formen. Doch selbst im Sommer dürfen sich die Wenigsten glücklich schätzen, bis auf Höhe des Eisfeldes vordringen zu können. Straßenabbrüche, entwurzelte Baumstämme und meterdicke Schneefelder behindern, je höher die Piste sich windet, immer mehr das Fortkommen – und irgendwann geht es auch für Geländefahrzeuge nicht mehr weiter. Staunend steht man am Rande des fünftgrößten Gletschers der Welt. Und wäre man auf Winter eingerichtet, am liebsten würde man weiter marschieren zum Ursprung seiner eisigen Gewalt.
    Der letzte Satz rief ihm den Gletscher wieder vor Augen. Das Gefühl von Freiheit, von archaischem Respekt vor unbegreiflichen Naturkräften, das ihn damals durchströmt hatte, wirkte auch aus der Ferne noch erhebend. Er wusste wieder, wie dieser Tag verlaufen war, seine kleinen und großen Glücksmomente, und erkannte einmal mehr, wie viel ihm diese Reise insgesamt gegeben hatte. Das Telefon riss ihn aus seinen Träumen.
    „Ich bin es noch mal. Irgendwas funktioniert da nicht, deine Texte sind nicht angekommen.“
    „Ich weiß, warte, kommen gleich.“
    Er klickte mit der Maus auf „Senden“. Erst jetzt fragte er sich, was das eigentlich zu bedeuten haben konnte, dass ein Kalenderverlag sich für Reisebeschreibungen interessierte.
    Dem Gedanken nachzugehen, blieb ihm keine Zeit. Liane Czibull rief ihn zu sich. Ob er sich schon das morgige Glossenthema überlegt habe?
    „Das wird noch zum Problem werden“, meinte er, „man kann nicht jeden Tag ein Spitzen-Glossenthema aus dem Hut zaubern.“
    „Das müssen wir abwarten“, antwortete sie freundlich. „Für morgen hätte ich jedenfalls was. Es gibt Leute, die rufen grundsätzlich nicht selbst irgendwo an, sondern lassen sich von ihrer Sekretärin ankündigen und dann verbinden. Fällt Ihnen dazu was ein?“
    „Ich kenne jemanden, der das so macht.“
    „Und dem ist vorgestern was passiert, haben Sie nicht auch davon gehört?“
    „Doch, das hat sich herumgesprochen. Aber ich weiß nicht recht...“
    Er bemühte sich um ein ernstes Gesicht. Eigentlich hatte er sich vorgenommen sich zu weigern, sollte sie jemals wieder versuchen, ihn für ihren Privatkrieg einzuspannen. Aber das Thema reizte ihn.
    „Schauen Sie halt mal, was Sie daraus machen können. Aber keine direkten Vergleiche, machen Sie die Situation so unähnlich wie möglich. Nur der Vorfall selbst sollte deutlich werden.“
    Er setzte sich an seinen Laptop, fest entschlossen, ein anderes Glossenthema zu finden. Aber da fiel ihm ein erster Satz zu Lianes Vorschlag ein, er schrieb ihn hin, ein zweiter Satz folgte, und bald war er so vertieft, dass ihm der Text wichtiger wurde als seine möglichen Folgen.
    Erst am Abend, eine Veröffentlichung der Glosse war nun nicht mehr aufzuhalten, regten sich sehr gemischte Gefühle. Auf dem Nachhauseweg überdachte er die Rolle, in die er am Arbeitsplatz geraten war. Zwar genoss er es, endlich mal so frech schreiben zu können, wie es ihm manchen Leuten gegenüber angemessen erschien; dass dies allerdings nur aus der Deckung von Liane Czibulls Machtstellung heraus möglich war, betrachtete er nicht gerade als etwas, das ihn auszeichnete. Aber was hätte seine Alternative gewesen sein können? Ein Erfolg als Schriftsteller schien ihm ferner denn je.
    Schon als er sein Auto vor der Garage abstellte, fiel ihm ein weißer Fleck an seiner dunkelgrünen Haustür auf. Was er beim Näherkommen erkannte, ließ ihn zürnen: Da hatte jemand einen zusammengefalteten Zettel befestigt, indem er gleich vier Reißzwecken in die erst vor wenigen Monaten frisch gestrichene Holztür gedrückt hatte, in jede Papierecke einen – statt den Zettel einfach in den Briefkasten zu werfen. Die Reißzwecken waren außerdem derart tief und fest ins Holz getrieben, dass er sie mit seinen kurz

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