Kölner Kreuzigung
gemalt. Als Kunsthistoriker wusste Marius um die Bedeutung derartiger Reliquien für die Menschen des Mittelalters, aber unter den Nachfahren Gerhardt Hochkirchens musste ein regelrechter Mythos um diese Reliquie entstanden sein. Ein Mythos, der zu mehreren echten Familienfehden geführt hatte. Der Detektiv klappte das Buch zu. Er würde sich die Familie Hochkirchen genauer anschauen müssen, und er wusste, wen er zu fragen hatte. Auch wenn er sich sicher war, dass seine Quelle sich über seinen Anruf nicht freuen würde.
4
Die Kindern rannten mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu, lachten und schrien, ihre kurzen, schnellen Schritte waren ein lebensfrohes Trommelfeuer auf den oft so kühlen Terrakottafliesen. Er fing beide Kinder mit seinen kräftigen Armen auf und riss sie hoch in die Luft, den Jungen links, das Mädchen rechts. Seine Frau kam aus dem Wohnzimmer hinterher, begrüßte ihn mit einem zärtlichen Kuss auf die Wange. Er war glücklich, dass sie nach all den Jahren immer noch eine liebevolle und zärtliche Beziehung führten. Bei vielen seiner Nachbarn und Freunden war das nicht mehr der Fall. Da drehte sich alles um die Kinder, den Job und das Geld, und zusammen bildeten diese eine immer hungrige Meute, die die Liebe langsam auffraß. Er hatte sich deshalb früh angewöhnt, den Job und die Fragen nach dem Geld aus seinem Familienleben herauszuhalten. Die Kinder erzählten aufgeregt und atemlos von ihren Erlebnissen an diesem Tag und zogen ihn ins Wohnzimmer. An den Händen, die zwei Menschen getötet hatten.
5
»Was willst du denn?« Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang alles andere als begeistert von ihm zu hören. Sandmann stellte sich ihren Gesichtsausdruck vor. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass ihre Augen gerade konzentriert auf einen imaginären Punkt vor ihr gerichtet waren, die mit Sicherheit perfekt geschminkten Lippen nah am Hörer, die blonden Haare wahrscheinlich mit einem Haarreif nach hinten geschoben. In seiner Vorstellung hatte sich Verena Talbot seit ihren gemeinsamen Studienzeiten nicht verändert.
»Ich brauche deine Hilfe, Verena.«
»Das ist mal was ganz Neues!« Je konzentrierter Verena Talbots Augen auf diesen imaginären Punkt gerichtet waren, umso schlechter war ihre Laune. Marius Sandmann hasste es, Kontakt mit seinen Exfreundinnen zu haben. In diesem Fall beruhte das offenbar auf Gegenseitigkeit. Nur war Verena die einzige Person, die er kannte, die ihm weiterhelfen konnte.
»Du hast doch ziemlich lange über die Kölner Schickeria geschrieben, oder?« Sandmann war sich nicht sicher, ob Schickeria in Köln das richtige Wort war. Er hatte das im Zusammenhang mit Münchener Prominenz einmal gehört, aber er kannte sich bei diesem Thema zu wenig aus. Es interessierte ihn allerdings auch nicht sonderlich. Seine Neugier richtete sich auf andere Dinge.
»Ich war Prominentenreporterin beim Express, ja. Inzwischen moderiere ich eine eigene Sendung bei Center.TV. Sagt dir vielleicht was.« Sie war schon immer gut darin gewesen, ihre Erfolge so beiläufig wie deutlich zu erwähnen. In Fragen der Karriereplanung und ihrer Umsetzung war sie ihm früher bereits haushoch überlegen gewesen. Vielleicht war er deswegen mit Ende 20 nur ein Privatdetektiv auf Honorarbasis, ein Rechercheur mit Lizenz. Sandmann schob den Gedanken beiseite.
»Das ist doch toll! Dann kennst du dich bestimmt immer noch gut mit Kölner Prominenten aus?«
»Das ist mein Job.« Der verärgerte Tonfall bekam eine zusätzliche abwartende Note. Misstrauisch, wenn es darum ging, anderen einen Gefallen zu tun, war sie nach wie vor.
»Ich bräuchte ein paar Informationen über eine sehr alte Kölner Familie.«
Verena Talbot unterbrach ihn. »In welchem Zusammenhang?«
»Eine Geschichte, die ich recherchiere.«
»Für die Uni?«
»Nein, da bin ich raus. Es geht um etwas anderes.«
»Und um was geht es dabei?« Löcher in den Bauch fragen konnte sie heute sogar besser als früher. Sandmann überlegte, wie viel er ihr erzählen konnte.
»Ich mache ein paar Hintergrundrecherchen für eine Detektei. Es geht um ein altes Gemälde.«
»Du bist Detektiv. Schau an. Vielleicht habe ich da mal Verwendung für dich.«
»Warum nicht?« Quid pro quo. Tu etwas für mich und ich tue etwas für dich. Verena Talbot war sich über die Jahre treu geblieben.
»Also was willst du wissen?«
»Es gibt in Köln angeblich eine Familie, die seit Mitte des 15. Jahrhunderts hier ansässig ist und deren Nachfahren
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