Kölner Kreuzigung
mich los und fesselst mich mit viel zu engen Handschellen.«
»Die Handschellen sitzen super. Stehen dir übrigens. Solltest du öfter tragen.« Die Frau grinste. Marius überlegte, wie alt sie sein könnte und schätzte sie allerhöchstens auf Mitte 20, nur wenige Jahre jünger als er. »Aber um auf deinen letzten Wortbeitrag einzugehen: Irgendein Wahnsinniger hat meinen Vater umgebracht. Da schadet ein wenig Vorsicht wohl nicht.«
»Deinen Vater?« Dass Brock eine Tochter gehabt hatte, war Marius neu. Er überlegte, was wahrscheinlicher war, dass Brock ihm seine Tochter verschwiegen hatte oder dass die Frau vor ihm ihn anlog.
»Mein Vater. Nicht gerade ein Mustervater, wenn du mich fragst. Eigentlich sogar ein ausgewiesenes Arschloch. Zum Glück haben wir uns nicht allzu oft gesehen.« Das Pendel schlug zugunsten der Frau aus. Das klang durchaus nach Brock.
»Und was machst du dann hier?«
»Die Polizei hat mich heute Morgen aus dem Bett geschellt, um mir den Tod meines Vaters mitzuteilen, danach haben sie einen Haufen sinnloser Fragen gestellt, und ich dachte, ich finde hier vielleicht ein paar Antworten auf meine Fragen. Außerdem dachte ich, ich könnte vielleicht verstehen, wer der Mann war, der da ermordet wurde. Schließlich müsste ich um ihn trauern, oder?« Einen kurzen Augenblick schaute Brocks Tochter zu Boden.
»Ich weiß nicht. Wenn ihr kein gutes Verhältnis hattet, vielleicht nicht.«
»Trauerst du um ihn?«
»Ja.«
»Hast du geweint?«
»Ja.«
»Gut.«
»Warum gut?«
»Dann hast du ihn wahrscheinlich nicht umgebracht. Ich finde es keinen so schönen Gedanken, mit dem Mörder meines Vaters in seinem Flur zu hocken. Auch nicht, wenn er Handschellen trägt.«
»Apropos. Könntest du mir die Handschellen vielleicht abnehmen?«
»Vielleicht.« Die Frau dachte einen Moment nach. »Später«, entschied sie dann und stand auf. Sie ging in die Küche, Marius hörte sie Schränke aufmachen und mit Gegenständen herumklappern. »Möchtest du auch einen Kaffee?«
»Danke nein, ich trinke keinen Kaffee. Aber ein Wasser wäre nett.« Die Frau erschien in der Tür, grinste und schaute ihn von oben herab an.
»Napf oder Glas?«
Einige Minuten später saßen Marius und die Frau an Brocks Sofatisch. Marius trank gierig das Wasser, seine Kehle war ausgetrocknet, er schüttete sich rasch nach. Brocks Tochter nippte nachdenklich an ihrem Kaffee.
»Wie heißt du eigentlich?«
»Friederike.«
»Marius.« Friederike nickte nur und schwieg. »Darf ich mich umsehen?«
»Nur zu, das ist nicht meine Wohnung.« Marius stand auf. Wo sollte er anfangen? Was suchte er überhaupt? Das Wohnzimmer war schlicht eingerichtet, aber entgegen seiner äußerlichen Schlampigkeit war Brock, wenn es um seine Wohnung ging, durchaus stilbewusst gewesen. Zwei Barcelona-Chairs aus den 20er-Jahren nach Originalentwürfen von Mies van der Rohe, ein alter Glastisch, ein paar halbhohe Sideboards für Bücher waren alles, was in diesem fast 30 Quadratmeter großen Raum stand.
Marius schaute auf die Buchdeckel, fand allerdings nichts von Interesse. Er achtete auch darauf, ob irgendetwas zwischen den Büchern steckte, da war nichts. Ähnlich minimalistisch war das Schlafzimmer eingerichtet. Eine breite Matratze auf einem schlichten Metallgestell, statt eines Kleiderschranks standen zwei blau-weiß gestreifte Stoffschränke an der Wand. Auch hier nichts, was Marius weiterhalf. Die Wohnung war so verschwiegen wie ihr Bewohner. Marius kehrte ins Wohnzimmer zurück. Er rieb sich die Handgelenke. Friederike Brock schaute ihn an.
»Und?«
»Nichts.«
»Weißt du, dass ich immer gedacht habe, dass so etwas einmal passiert. Irgendwie passt das zu ihm. Ermordet zu werden. Einfach so zu verschwinden und einen mit einem Haufen Fragen allein zurückzulassen.«
»Hast du eine Idee, wer ihn umgebracht haben könnte?«
»Ich? Wahrscheinlich hast du ihn besser gekannt. Ich habe ihn nur alle paar Jahre mal gesehen. Aber wenn du mich fragst: Irgendeiner seiner schrägen Kontakte wird ihn auf dem Gewissen haben.«
»Welche schrägen Kontakte?«
»Keine Ahnung, einer seiner Saufkumpane, Spielpartner, Rotlichtkumpel, Kleingangster … was weiß ich. Hast ja genug zur Auswahl. Schnapp dir sein Adressbuch und rufe wahllos ein paar Nummern an, da hast du genügend Leute an der Hand, die als Mörder infrage kommen.« Das Adressbuch! Marius überlegte, ob es Brock das letzte Mal mitgenommen hatte. In seinem Büro hatte er es nicht gesehen, aber
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