Kölner Kreuzigung
zu sein. Manchmal hatte sie das Gefühl, nur noch von Fall zu Fall zu hetzen, ohne einen davon wirklich zu klären, abzuhaken, ein Ergebnis zu präsentieren. Aus diesem Grund nagte eine Unzufriedenheit an ihr.
Früher war sie euphorisch, wenn ein Fall aufgeklärt und ein Mörder verhaftet wurde. Heute kam gleich danach der nächste Fall und es blieben lose Enden übrig. Enden, von denen sie hoffte, dass ein Staatsanwalt vor Gericht sie verknüpfen würde, und sie hatte große Zweifel, dass Staatsanwalt Stein jemand war, der Enden verknüpfen konnte. Fester als beabsichtigt drückte sie die nächste Klingel, ein schrilles Geräusch weckte sie aus ihren Gedanken.
Aber anders als im Rheinauhafen hatte sie hier mit ihrem Rundgang mehr Glück. Jetzt, am späten Nachmittag, waren viele Hausbewohner daheim und jeder kannte den kräftigen, kleinen Mann aus dem vierten Stock. Wenn auch nicht jeder etwas über ihn erzählen konnte. Laut war er manchmal, ab und zu angetrunken, unzugänglich sagten die einen, höflich und nett die anderen. Seitdem sich Paula Wagner mit Brock beschäftigte, versuchte sie sich ein Bild von ihm zu machen. Es gelang ihr nicht. Nicht nur das unterschied ihn von dem toten Schauspielerpärchen.
Vielleicht hatte das damit zu tun, dass es ihr schwer fiel, sich vorzustellen, was für Menschen Privatdetektiv wurden. In ihren Augen waren das meist gescheiterte Polizisten, ehemalige Polizisten, die bei einer Security-Firma anheuerten, weil die Bezahlung besser und die Arbeit nicht so mörderisch war. Buchstäblich mörderisch. Aber galt das nicht auch für den an ein Kreuz genagelten Brock? Eigentlich die schlimmste Sorte von Privatdetektiv in ihren Augen: Möchtegernpolizisten, bei denen sie sicher war, dass keiner von ihnen je bei der Polizei gearbeitet hatte. Ihr fiel ein, dass sie sich bald um den Hintergrund von Brocks Angestellten kümmern musste.
Sie klingelte nun an der Wohnung direkt unter der von Brock. Zunächst geschah nichts hinter der Tür, doch von irgendwo in der Wohnung kamen Geräusche. Sie schellte erneut, eine Männerstimme rief gereizt »Ja, ja«, dann hörte sie ein Poltern und schlurfende Schritte. Die Tür ging auf und Paula Wagner schaute einem kleinen, grauhaarigen Mann in die verquollenen Augen. Der Mann kratzte sich an der Backe, als ihm Wagner ihre Marke vor die Augen hielt.
»Kriminalkommissarin Paula Wagner, ich ermittle in dem Mord an Ihrem Nachbarn aus dem vierten Stock. Vielleicht haben sie schon davon gehört?«
»Ja, ja.« Der Mann machte eine kurze Pause, allerdings keine Anstalten, sie in die Wohnung zu lassen. »Ich dachte schon, es wäre was Ernstes.«
»Was Ernstes?« Paula Wagner konnte ihre Verblüffung nicht verbergen. In was für einer Welt lebte sie eigentlich?
»Ich dachte, die alte Schlampe unter mir hätte mir wieder die Polizei auf den Hals gehetzt. Das macht sie manchmal.« Der Mann steckte den Kopf aus der Tür und brüllte lautstark durch das Treppenhaus. »Verfickte Dreckskuh, verdammte!«
»Vielleicht sollten wir uns besser drinnen unterhalten?« Paula Wagner hatte ihre Fassung wiedergewonnen. Der Mann murmelte etwas Unverständliches und gab die Tür frei. Sie folgte ihm durch einen unordentlichen, mit einem alten beigefarbenen Teppichboden ausgelegten Flur, auf dessen Boden Unterhosen und Socken verstreut lagen, in das Wohnzimmer, in dem eine alte zerschlissene Couch, eine Schrankwand aus den 70er-Jahren und eine schier unüberschaubare Zahl an Bierflaschen und dreckigen Tellern standen. Zwei Katzen machten sich über einen der Teller her, rannten aber davon, als Paula Wagner und der Mann das Wohnzimmer betraten. Es stank bestialisch nach abgestandenem Bier und verschimmelten Lebensmitteln. Die Fenster waren natürlich verschlossen, Gardinen hielten die Blicke der Nachbarn aus dem Haus gegenüber fern. Sie stellte sich ans Fenster und öffnete es leicht, schaute sich den gegenüberliegenden, frisch restaurierten Altbau etwas genauer an. Aus der Wohnung im Dachgeschoss müsste man in Brocks Wohnzimmer schauen können. Vielleicht sollte sie auch dort klingeln?
»Worum geht’s, sagten Sie noch mal?«
»Um Ihren Nachbarn. Den Mann, der über Ihnen gewohnt hat: Gunter Brock.«
»Richtig. Günter. Kannte ich nicht.« Der kleine Mann stand in der Mitte seines Wohnzimmers, die Hände in den Hosentaschen vergraben, das Kinn fast auf den Hals gepresst. Paula Wagner seufzte leise.
»Wie war noch einmal Ihr Name?«
»Martensen. Wilhelm
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